Tag 2: Einführung in den Alltag

Um 7 Uhr klingelt der Wecker. Meine Augen sind feuerrot – ich bin müde und möchte nicht aufstehen. Aber es nutzt ja nix. Um 8.10 ist die Begrüßung im Kinderland und vorher muss gefrühstückt werden. Wir machen uns fertig, frühstücken (es gibt Tee, Wasser und Filterkaffee) und gehen ins Kinderland. Die Begrüßung beginnt anstatt um 8:10 leider erst um 8.25 Uhr, da muss ich schon wieder gehen um meinen ersten Termin wahrzunehmen: Das psychosoziale Aufnahmegespräch.

Ich mach es kurz – als ich fertig war, war ich wirklich fertig! Das Gefühl eine totale Hippie-Mutti zu sein ist gerade sehr stark in mir. Ich wurde vom Arzt gefragt, was denn meine Ziele seien. Wahrheitsgemäß antworte ich:

„Ich möchte die Mutter-Kind Bindung zu Claire wieder stärken, weil ich das Gefühl habe, sie immer weiter von mir zu stoßen. Außerdem möchte ich lernen mich abzugrenzen um eigene Bedürfnisse zu wahren, denn ich merke, dass ich mit der bindungsorientierten Erziehung ausgelaugt werde und die eigenen Bedürfnisse nicht wahren kann. Ich brauche Strategien, damit es gewaltfrei klappt – also ohne Drohungen, Bestrafungen oder Belohnungssysteme. Ich weiß einfach nicht wie ich das schaffen soll.“

Bedürfnisorientiert – ein Ideal?

Seine Augenbrauen gehen nach oben, die Stirn legt sich in Falten und er erwidert mir mit einem schiefen Grinsen (und merkwürdigem Tonfall): “Oh da haben Sie sich ein großes Ideal gesetzt. Die Messlatte liegt da sehr weit oben. Ich bin nicht sicher, ob das zu schaffen ist“. – Was genau? Kinder gewaltfrei erziehen? Wirklich nicht? Na das kann ja heiter werden hier.

Ich bin etwas geknickt und erkläre, dass wir seit der Entthronung mit Claire einige Probleme haben, dass die Wackelzahnpupertät hinzu kommt und alles schwierig ist und ich einfach entkräftet bin. Außerdem gäbe es da Probleme mit meinem Mann, mit dem ich immer wieder aneinandergeraten würde.

Er neigt sich vor, grinst und meint: „ Ja, sie ist ja jetzt in dem Alter, in dem sie die Eltern – wie soll ich es sagen – gegeneinander ausspielen kann!“

Ich erwidere trocken: „Ja, ist doch super, dass sie das kognitiv kann. Ein kluges Kind!“. Er schaut mich kurz verwirrt an und spricht weiter: “Dass sie so oft aneinander geraten, kann vielleicht daran liegen, dass sie so sehr an ihrem Ideal festhalten und daran nicht kratzen lassen? Sie müssen das mal reflektieren, die Wahrheit ist immer in der Mitte“. „Ja natürlich halte ich daran fest meine Kinder gewaltfrei zu erziehen. Es geht auch ohne Strafen. Ich finde keine Mitte zwischen Strafen und nicht-bestrafen.“. Wir wechseln das Thema.

Kein Gesprächskreis, nur Einzelsitzungen

Das Ergebnis: Kein Gesprächskreis passt zu mir, ich bekomme zwei Termine für Einzelsitzungen. Zwei Termine? Ich bin gespannt was wir da wohl besprechen werden. Von meinen bisherigen Therapien weiß ich, dass in zwei Terminen eigentlich nicht viel bei rumkommt. Man kratzt an der Oberfläche, lernt sich erstmal kennen. Aber womöglich läuft es anders hier. Und vielleicht irre ich mich und es wird sogar super gut laufen. Ich bin gespannt und versuche positiv und neugierig zu bleiben – die Termine werde ich erst in der kommenden Woche erhalten.

Nach dem Termin steht die Hausführung an, anschließend geht’s zum Mittagessen. Ich stille Marie in den Schlaf und Michael kümmert sich um Claire, die mit den Ruhezeiten so gar nicht klarkommt. Die Kinder dürfen auf dem Gelände von 12-14 Uhr nicht spielen (also eigentlich dürfen sie nicht einma auf dem Gelände sein). Claire möchte aber toben und rennen. Michael und Claire fahren in den nächsten Ort um Bargeld zu besorgen – das ist hier überlebenswichtig.

Claire lässt ihren Gefühlen freien Lauf

Wir machen einen fliegenden Wechsel – Michael bleibt bei Marie, Claire geht mit mir zum Arztgespräch (Anwesenheit der Kinder ist ausdrücklich erwünscht). Auch dieser Arzt fragt, was ich hier möchte, doch ich komme kaum zum erklären. Claire fällt mir ständig ins Wort, rennt im Zimmer herum. Ich nehme sie auf den Schoß, umarme sie und sage ihr, dass ich verstehen kann, dass sie lieber spielen möchte. Mir sei dieses Gespräch aber sehr wichtig, es ginge um meine Gesundheit, und, dass ich bald wieder eine gute Mama werden kann. Ich verspreche ihr, im Anschluss mit ihr in den Schnee zu gehen.

„Scheiß Kur ist das hier! Tobt sie los. Ich will wieder nach Hause!! Es ist langweilig!!“

Keine Chance. Der Arzt beeilt sich, untersucht mich und entlässt mich, nachdem wir Massagen, ein bisschen Sport und Marte Meo für mich festgelegt haben. Endlich sind wir entlassen und wir gehen mit den Kindern in den Schnee. Marie findet den aber gar nicht schön und will schnell wieder hinein. Also fährt Michael mit Claire Schlitten, ich kuschel und spiele mit Marie im Haus. Dabei rede ich hin und wieder mit anderen Mamas und passe auch mal auf andere Kinder auf.

Sport ist – geil!

Nach dem Abendessen machen wir eine kleine Runde in den Abenteuersaal (Gymnastikhalle) und schlendern gegen 20 Uhr ins Zimmer. Wir starten unser normales Bett-Ritual: Michael liest, Ich kuschle und rede ein wenig mit Claire.

Nach nur 10 Minuten schläft Claire. Um 21.45!!! Das hatten wir ewig nicht mehr. TIME TO PAAARTY! Da Marie ebenfalls eingeschlafen ist, nutzen wir unseren Kur-Aufenthalt ohne digitale Medien um miteinander zu kuscheln 😉 Wir besprechen den Tag – Claire wollte nicht sofort in die Betreuung und eine Eingewöhnung gibt es gar nicht. Ich konnte sie in der Randzeit für knapp 20 Minuten begleiten, aber das war eine Ausnahme. Ich überlege mir, wie es klappen könnte und schlafe ein.

Tagesplan:

  • 8.30 – 9.05 Uhr: Psychosoz. Aufnahmegespräch
  • 11.30 – 13 Uhr: Mittagessen
  • 12.00 – 14.00Uhr: Ruhezeit (auf dem Zimmer oder außerhalb d. Geländes)
  • 14.35 – 15.10 Uhr: Ärztliches Aufnahmegespräch
  • 17.00  19.00 Abendessen