Bindungsorientierte Erziehung macht einsam

Seit geraumer Zeit gehe ich einen eher bindungsorientierten/bedürfnisorientierten Weg. Es ist ein harter Weg. Ein Weg voller Tränen und endlosen Kraftakten. Es ist Arbeit. Harte fuckin` Arbeit. Weil man vor allem mit seinen eigenen Problemen konfrontiert wird und sie immer wieder vor Augen geführt bekommt. Das macht einen fertig. Und er ist einsam. Sehr sehr einsam.

Zu aller erst möchte ich klar stellen, dass ich diesen Weg nicht verteufeln möchte. Ich will ihn nicht schlecht reden oder dafür „beschuldigen“, dass ich mich einsam fühle. Ich möchte euch aber dennoch ein paar Situationen schildern, die mich traurig gemacht haben. Die mich einfach einsam fühlen lassen…

[Anmerkung] Falls sich ein Leser bisher nicht mit bindungsorientierter Erziehung befasst hat, aber der Meinung ist, es heißt, sein Kind einfach machen lassen, ohne Grenzen und Rücksicht auf andere: NEIN. Das bedeutet es nicht. Bitte arbeite dich erst ins Thema ein, ehe du mit Vorurteilen und Klischees um dich wirfst. Merci.

Große Mädchen brauchen keine Windel

Aktuell haben wir ja das leidige Thema „Windeln“ im Haus. Im Zuge der Entthronung hat Claire angefangen sich wieder einzupinkeln (wobei neuste Ereignisse vermuten lassen, dass es gar nicht an der Entthronung liegen könnte, sondern an anderer Stelle). Ich sprach mit anderen Eltern, ich sprach mit dem Kinderarzt und (fast) alle haben mir bestätigt, dass dies ein völlig normalen Verhalten sei. Nervig. Aber normal.

Also wechsele ich meiner 4,5-Jährigen aktuell wieder die Windeln. Tag und Nacht. Vor Kurzem lud danneine befreundete Mama Claire zu sich und ihrem Kind ein. Ich habe ihr natürlich Windeln eingepackt und schon im Treppenhaus hat sie beschwörend zu Claire gesagt:

„Die wirst du doch nicht brauchen oder? Große Mädchen brauchen keine Windel“.

Tolle Belohnungen für ein Leben ohne Windel

In der Tat: Sie hat sie nicht gebraucht. Die Mutter versprach Claire nämlich, dass sie im Sommer bei ihr übernachten könne, wenn sie bis dahin nicht in die Windeln machen würde. Siehe da: Die Klogänge haben par Excellence geklappt. Später hat mir die Mutter berichtet, dass mit Claire alles tadellos lief:

„Warum hast du immer so Probleme mit Claire? Hier lief alles super! Ich verstehe das gar nicht.“

Außerdem hat sie mir stolz von ihrem Abkommen mit Claire erzählt. Warum es an dieser Stelle keinen Sinn macht, zu erklären, dass es normal ist, dass Claire sich anderswo anders verhält, als zu Hause? Da müsste man weit ausholen und ich hab nicht die Zeit oder Kraft das zu erläutern. 20 Minuten später hat Claire übrigens in die Windel gemacht…

Zu weich und inkonsequent

Gleiche Mutter ist übrigens auch der Meinung, dass ich zu „weich“ mit Claire bin. Immerhin lasse ich ihr Zeit, wenn wir vom Spielplatz gehen. Sie sagt dann immer: „Name Kind ich gehe jetzt! Auch ohne dich“ und geht Richtung Ausgang. Sie droht dem Kind also, jagt ihm Angst ein und das möchte ich ja nicht machen.

Ich habe das Gefühl in ihren Augen bin ich ein Versager. Zu weich, nicht konsequent, zu LariFari. Dabei ist bindungsorientiert alles andere als LariFari! Ständig muss man reflektieren, verstehen, geduldig sein, zurückstecken, Bedürfnisse priorisieren und abwägen.  Es ist tagtäglich verdammt harte Arbeit – vor allem an sich selbst.

Ich höre oft, dass bindungsorientiert gleichgesetzt wird mit „machen lassen“ oder „keine Grenzen setzen“. Andere Eltern halten mich für weich und unfähig. Sie sind der Meinung ich sei zu faul zum erziehen. Schließlich ist es ja soooo viel anstrengender, das Kind zu konditionieren und ständig zu bedrohen und zu bestrafen – als Diskussionen zu führen, die Perspektive des Kindes einnehmen oder darüber nachdenken, warum man eigentlich gerade stur auf etwas beharrt. Ja genau. So viel entspannter. Ächz.

Eure Erziehung ist bekloppt!

Es tut weh gesagt zu bekommen, man sei zu weich. Vor allem, wenn man die Mutter eigentlich mag. Ich habe das Gefühl, dass ich in ihren Augen versage. Darf ihr Kind vielleicht deshalb nicht so oft zu uns kommen? Glaubt sie, ich schaffe das nicht? Sowas nagt an mir. Es treibt mir die Tränen in die Augen und schnürt mir das Herz ein.

Was auch an mir nagt sind Kommentare wie „Also, ich halte eure Erziehung ja für bekloppt!“.

Auch das kam von einem Bekannten. Einem Bekannten, der vor seinem Kind raucht (ein No Go für mich), „scherzhaft“ aggressiv mit dem Kind spricht (kenne ich aus der eigenen Kindheit und das ist nicht schön) und bei Wörtern wie „Bindung“ oder „Reflektieren“ scheinbar Pickel am Arsch bekommt.  Auch das sollte mir egal sein. Ist es aber nicht. Denn auch hier habe ich wenig Verständnis zu erwarten. Ich kann mich nicht austauschen… Ich kann nur schweigen.

Aber die Kita gegenüber ist doch praktischer!

Heute – also zum Zeitpunkt der Beitragserstellung – habe ich einer anderen Mama gesagt, dass ich Claire aus der Kita nehme. Wir wechseln in eine neue Kita für das letzte Jahr. Die Gesichtszüge sind ihr entgleist. Ein Ausdruck absoluter Verständnislosigkeit. „Warum? Die ist doch gegenüber. Das ist so praktisch für dich!“.

Praktisch, ja. Aber ich kann mein Kind in keine Kita stecken, in die es nicht möchte. Wenn ich mich dabei nicht gut fühle und Claire auch nicht, dann ist die Kita einfach nicht der richtige Ort. Ich habe ihr erklärt, was passiert ist und, dass Claire wiederholt sagte, sie will nicht hin. Ich habe erklärt, dass sie sogar geweint hat.

Und dann fallen Sätze wie, dass es ja „nur“ ein Jahr ist. Das Kind müsse da halt durch. So schlimm ist es ja gar nicht. Manchmal muss das halt so sein. Und es ist doch sooo praktisch.

Bedürfnisse von Kindern zählen nicht

Muss es? Echt? Muss sie mit 4 Jahren an einen Ort, an dem sie sich nicht wohlfühlt? An dem sie sogar scheinbar Angst hat? (Näheres hierzu kommt noch). Nein. Das denke ich nicht. Dann werde ich wohl wieder als Helikoptermutter abgestempelt, wie zu dem Zeitpunkt, als ich mich über Claires „10-Regeln-Bußgeldkatalog“ aufgeregt habe.

Aber immerhin habe ich mich für sie eingesetzt. Für ihre Wünsche und Bedürfnisse. Warum manche Menschen die Bedürfnisse von Kindern als wertlos betrachten, geht mir nicht in den Kopf hinein… Aber hier ist es halt nicht so. Ende.

Hallo, gestatten: Außenseiter

Und da ist dann auch das Ende der Fahnenstange erreicht. Denn Verständnislosigkeit begegnet mir oft. Fragnende Gesichter. Hochgezogene Augenbrauen. Manchmal fragt auch eine Mama nach, aber meine Erklärungen ergeben für sie keinen Sinn. Sobald ich mich für mein Kind stark mache und gegen die „normalen“ Vorgänge (früher war es auch so) der Gesellschaft vorgehe, bin ich der Außenseiter.

Sobald ich versuche die Perspektive des Kindes einzunehmen und mich dafür einsetze, bin ich Übermutter. Da sind diese Blicke, diese Augenbrauenhochziehen, diese Kommentare. Und es trifft mich… Es trifft mich wirklich sehr. Denn eigentlich möchte ich dazu gehören. Teil der Gesellschaft sein. Freunde haben. Mich austauschen. Ganz ohne darauf zu achten, was ich sage… Ganz ohne mich ständig erklären zu müssen.

Oft bin ich einfach still

Aber ich katapultiere mich auch selbst ins Aus. Ich habe ja auch eine feste Meinung zu gewissen Themen: Ein Beispiel: Ich bin pro Reboarder und total gegen Sitzerhöhungen. 90 Prozent der Kita-Eltern hat aber so eine Sitzerhöhung auf dem Beifahrersitz. Ich weigere mich, mein Kind damit fahren zu lassen – und schon wieder bin ich die komische Außenseiterin, die ihr Kind lieber selber vorbeibringt.

Wenn es darum geht, dem Kind „Manieren“ beizubringen, weil „es die Füße ja unter dem Tisch er Eltern hat“, werde ich ganz still. Aus diesen Gesprächen halte ich mich heraus. Ich möchte keine Besserwisserin sein, mich aber auch nicht daran beteiligen. Bei solchen Gesprächen weiß ich auch gar nicht, was ich da sagen kann. Oder wie ich es sagen kann. Und, wenn ich dann mal sage, wie ich es mache, kommen wieder diese Blicke. Ich kann das scheinbar nicht gut erklären. Das merke ich oft im Pekip-Kurs.

Gemeinsam statt einsam

Eltern, die ihre Kinder wie eine Art Maschinen sehen, sind mir auch mittlerweile unsympathisch geworden – und ja, ich war mal selber so. Zieht man jetzt noch bestrafende und rauchende Eltern davon ab… Zack. Bleibt gar nicht mehr viel übrig. Und ich stehe allein da. Allein, allein. Allein mit meiner Meinung. Allein mit meinem Weg. Dabei würde ich den Weg so gern gemeinsam mit anderen Eltern gehen.

Ja, natürlich gibt es auch liebe und nette Eltern mit denen ich mich auf dem Kita-Flur auch austauschen kann. Aber, wenn es in die Tiefe geht, merke ich sofort, dass da ganz andere Grundsteine gelegt sind. Und dann bekomme ich sofort Angst. Angst, was falsches zu sagen. Angst in ein Fettnäpfchen zu treten – das kann ich nämlich gut. Und dann verstumme ich wieder. Wirke vielleicht desinteressiert. Dabei bin ich einfach nur einsam und unsicher und schaffe mir einen kleinen Panzer vor dem Verletzt werden.

Was vielleicht nicht Absicht ist, aber immer wieder passiert: Die Blicke, die Kommentare, die legen sich wie schwere Steine in mein Gepäck. Sie erschweren mir den Weg, sind eine Last. Darum halte ich mich fern. Ich halte mich fern, um nicht unter der Last zusammenzubrechen. Dabei wäre es so viel schöner, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich diese Last teilen kann.