Mein Familienkompass von Nora Imlau* (Ullstein Verlag) sollte der Wegweiser für Alle werden. Das klingt reißerisch, Upsi. Und wer sind eigentlich alle? Wirklich alle, Alle? Ja. Alle! Eltern, Erzieher:innen, Pädagog:innen, Menschen, die mit Kindern zu tun haben und einfach… Menschen.
Der Begleiter zum persönlichen Nordstern
Der Familienkompass ist kein Ratgeber. Er ist kein Rezept zu einer friedvollen Elternschaft. Er ist ein Reiseführer. Ein Reisebegleiter zu eurem inneren Nordstern. Er hilft, den inneren Kompass neu auszurichten – wenn ihr es zulassen möchtet…
Wie treue Leser:innen meines Blogs wissen, bin ich ein großer Fan von Noras Büchern. „So viel Freude, so viel Wut*“ habe ich als persönliche „Bibel“ betitelt. Der Nachfolger „Du bist anders, du bist gut*“, ist meine Bibel 2.0 (wird noch rezensiert). Doch auch ihr Geburtsbuch* war prägend für mich, da ich daraus die Kraft für eine selbstbestimmte natürliche Geburt gezogen habe, statt einen geplanten Kaiserschnitt vorzunehmen.
Eine Therapie, die ich nie gebucht habe…
Nora begleitet mich seit vielen Jahren. Nicht nur ihre Bücher. Immer wieder gibt sie mir persönliche Ratschläge, beantwortet meine unsicheren Fragen. Zuletzt gab sie mir den letzten Schubser in Richtung Montessori-Schule, was wohl eine der besten Entscheidungen für Claire war, die ich je getroffen habe.
Nora ist selbst Mutter. Vier zuckersüße Kinder gehören zu ihrem Familienclan. Sie ist nah am Thema. Hautnah. Und ihre Bücher gehen unter die Haut. Vor allem bei mir.
„Ein gefühlsstarkes Kind zu haben, ist wie eine Therapie zu machen, die man gar nicht gebucht hat“ (Nora Imlau)
Da kann ich voll zustimmen. In den letzten Jahren habe ich viel über mich gelernt, musste vieles verarbeiten, viel ändern, viel an mir arbeiten. Mein Familienkompass ist nun quasi eine Art Selbst-Therapie, auf die ich mich freiwillig eingelassen habe. Tatsächlich hatte ich das Buch als Leseexemplar hier, habe es aber im Alltag nie über das erste Kapitel hinaus geschafft. Eine Schande! Schon der Einstieg war so fesselnd, dass ich mehr (Lese-)Stoff wollte. Also entschied ich mich das Hörbuch zu kaufen. Da ich täglich eine Stunde im Auto sitze, hat das gut gepasst.
Leserinnenstimme ist gut gewählt
Anfangs war es merkwürdig: Wenn ich Noras Bücher selbst lese, habe ich ihre Stimme im Ohr. Nun ihre Texte von einer anderen Stimme vorgetragen zu bekommen, war ein wenig befremdlich. Doch schnell war das Gefühl vorbei. Die Inhalte haben mich einfach mitfortgenommen und irgendwann war mir gar nicht mehr bewusst, dass es nicht Nora ist, die da spricht. Die Leserinnenstimme von Nina West passt einfach sehr gut.
Und was ist jetzt überhaupt so gut an dem Buch? Warum ist es ein Reiseführer? Hä? Wo geht´s denn hin? Tja nun. Noras Familienkompass wird nicht konkret dabei helfen Familienkonflikte zu lösen. Es wird nicht dabei helfen, direkte Auswege aus Konflikten zu finden. Nein. Aber der Familienkompass hilft zu verstehen. Zu verstehen, wo der Ursprung der Konflikte ist. Verstehen, wo der Ursprung der eigenen Gedanken, Gefühle und des Handels liegt. Was uns prägt und wie groß der Einfluss auf unser Handeln ist. Er hilft zu verstehen, wohin der Weg gerade führt. Und vor allem zeigt er auf, wohin der Weg eigentlich führen kann. Und warum.
Er ist der Kompass, der Richtung Nordstern zeigt. Für jeden Menschen liegt der Nordstern ganz individuell, da jeder Mensch individuelle Bedürfnisse hat. Der Familienkompass hilft, den inneren Nordstern zu finden und darauf zuzugehen…
Ein Buch für Alle?!
Für wen ist dieses Buch also geeignet? Wirklich für alle? Ich sage ja. Ich denke, es gibt kaum Menschen, die dieses Buch lesen werden und anschließend sagen „weiß ich ja alles schon“. Und ich denke, dass es einfach einem jeden Menschen ein bisschen was auf den Weg mitgeben kann. Sei es das Wissen um Prägung, alte Glaubenssätze oder dem falschen Bauchgefühl. Der feine Unterschied zwischen Strafen, logischen, natürlichen und persönlichen Konsequenzen.
Ich denke, das Buch kann eine solide verständnisvolle Basis für Eltern schaffen – von allen Teilen der Gesellschaft. Wer das Buch liest, wird beim nächsten Wutausbruch eines fremden Kindes vielleicht nicht mehr denken „Der Rotzlöffel hat seine Eltern ja voll im Griff!“, sondern eher „was ein willensstarkes, beeindruckendes Kind, was für sich einsteht. Klasse, wie die Eltern das begleiten können!“. Werden es die Menschen also alle toll finden? Wohl kaum.
Ich denke eine Menge Menschen werden es lesen und an einigen Stellen denken „Boah, was labert die da bitte?“ oder „Meint sie das jetzt echt Ernst?“. Nora selbst hat es direkt zu Anfang vermutet.
Manche Seiten taten echt weh
Auch ich gehöre dazu. Es gab einige Stellen, die musste ich mir wieder und wieder anhören. Die habe ich mir mit ins Bett genommen, da sie mich so sehr beschäftigt haben. Und dann habe ich gemerkt, warum sie mich so beschäftigen. Warum ich so „Anti“ bin. Sie triggern mich. Nora hat da voll ins Schwarze getroffen. Sie hat einfach Recht. Und ich konnte es nicht zugeben, weil ich bisher keine Lösung für dieses Problem gefunden habe. Oder, weil ich erkannt habe, was eine Arsch-Mama ich bin. Ein ganz gutes Beispiel ist Selbstfürsorge, das ist mein zweitgrößtes Problem – auf der Pole steht das gewaltfreie Grenzen setzen 😉
Wie soll ich mich der Situation entziehen, wenn doch alle Kinder gerade durchdrehen? Das geht doch gar nicht? Eine Tasse Tee kochen, während sich die Mädchen gerade die Köppe einschlagen? Das geht doch gar nicht. Tja nun. Geht schon. Diese Abgrenzung ist nämlich wichtig. Wenn ich als Mutter selbst keine Kraft mehr für mich habe, habe ich sie erst Recht nicht für den Geschwisterstreit. Ich muss meinen Tank füllen, und dann kann ich die Liebestanks meiner Mädchen auffüllen und sie wertschätzend und liebevoll durch Frust und Kummer begleiten.
Ein Alltagsbeispiel
Das klingt alles jetzt mega abstrakt, richtig? Darum möchte ich es euch an einem persönlichen Beispiel zeigen. Eine Alltagssituation die aufgetreten ist, nachdem ich Mein Familienkompass beendet hatte.
Die Mädchen waren allesamt schon den ganzen Morgen nicht gut drauf. Ich hatte die Nacht zuvor miserabel geschlafen. Wie die letzten Monate auch schon (zwei Kinder stillen kann echt an die Substanz gehen). Ich hatte meinen Tagesplan zurechtgelegt – Saugen, Küche, Wäsche etc. Ihr kennt das bestimmt. Ich kam nicht so gut vorran, wie ich es gern wollte. Frust machte sich innerlich breit.
Die Kinder gerieten immer wieder aneinander. „Mein Stift“ „NEEEIHEEEIN MEINEEEER!“ *Handgemenge*. Marie war schon wieder etwas müde und hat ihren Frust in ihrer zauberhaften Banshee-Stimme ihren Lauf gelassen. Dazu dann noch Valeries Brumm-Geweine (sie will uns wohl Wichtiges sagen, aber es formen sich einfach keine echten Worte!), das mir den ganzen Morgen in den Ohren lag.
Was würde Nora tun?!
Es kam der Punkt, da konnte ich nicht mehr. Dann habe ich getan, was ich so oft mache, wenn ich am Ende meiner Kräfte bin: Ich habe einen Brüller los gelassen – SCHLUSS JETZT! OAAAAR! Kurze Stille. Und dann ging es direkt weiter. Statt nun weiter zu Brüllen – wie ich es in der Vergangenheit leider zu oft getan hatte – hielt ich diesmal inne. STOP:
„Was würde Nora jetz wohl tun?“
Davon ab, dass sie wohl gar nicht erst soweit an ihre Grenzen gegangen wäre, weil sie gefühlt super gut auf sich achten kann – jahrelange Übung nehme ich an – wäre sie wohl aus der Situation herausgegangen. Sie hätte sich jetzt einen Tee gekocht (glaube ich).
Chai Latte vs. Geschwisterstreit
Und genau das tat ich auch. Ich habe den streitenden Schwestern den Rücken gekehrt, habe heißes Wasser aufgesetzt und mir einen leckeren Chai Latte-Zimt angerührt. Weihnachten in der Tasse. Genau das brauche ich jetzt.
Ich habe dem Wasserkocher zugehört, den leckeren Dampf meiner Chai-Mischung eingeatmet, die Wärme der Tasse in meinen Händen gespürt und tatsächlich… (Aufmerksame Leser von Noras Buch werden nun von einem Deja-vu ereilt.) Es gelang mir tatsächlich mich zu beruhigen. Mich von der Situation zu lösen. Langsam und bedächtig habe ich meinen Chai ausgetrunken – mit Blick ins Wohnzimmer, ob sie zumindest die Einrichtung sowie Valerie heile lassen. Alles Gut? Perfekt.
Wut umlenken, nicht auf das Kind reagieren
Damit habe ich tatsächlich umsetzen können, was Nora im Familienkompass rät – zumindest ein bisschen:
„Wenn wir im Miteinander mit unserem Kind spüren, dass die Wut heranrollt, lenken wir unsere Aufmerksamkeit bewusst weg von unserem Kind und dem Impuls, auf es zu reagieren (es käme ohnehin nichts Gutes dabei heraus) und hin zu dem Kind in uns, zu uns selbst also, unserer eigenen Seele in Aufruhr.“ (Nora Imlau)
Ich habe meinen Chai getrunken und dabei überlegt, was ich tun könnte, um diese Situation aufzulösen, ohne eines der Kinder zu beschämen. Soll ich Marie in ihr Zimmer locken? Klappt das? Ein Kind rausschmeißen wäre nichts anderes als eine Strafe. Das geht gar nicht! Beim Aufräumen der Chai-Packung fielen mir Chips ins Auge, die ich für Claire gekauft hatte.
Liebe geht durch den Magen
Ah! Liebe geht durch den Magen. Ich habe eine Snack-Schale vorbereitet und Claires und Maries Lieblingsleckerbissen reingepackt. Nachdem mein Chai leer war, bin ich damit freudestrahlend ins Wohnzimmer marschiert und habe sie zwischen den beiden Streithähnen platziert.
„OOOOH Kekse!“ „OOOOH Gummibärchen und Chips!!“ Beide Mädchen waren begeistert. Das Streiten hatte ein Ende und sie haben erstmal aufgegegessen. Ende.
Kein „Happy End“
Nein natürlich nicht! Das ist kein Märchen. Selbstverständlich haben sie sich nach dem Essen weiter gezofft. Der Unterschied war aber, dass ich genug Zeit hatte mich und meine Energien zu sammeln. Diesmal konnte ich das Gezanke begleiten, vermitteln und eine Lösung finden. Und dann war es tatsächlich auch gut.
Warum? Weil ich auf mich und meine Bedürfnisse Acht gegeben habe: „Tue nicht erst was, wenn sie bereits in deinem Wohnzimmer stehen. Grenze dich ab, wenn sie am Gartentor stehen“ wurde mir bei einer Familienberatung mal mitgegeben. Also habe ich die Mädchen aus meinem inneren Wohnzimmer in den Garten befördert, habe meine Bedürfnisse gestillt und mich dann anschließend wieder um die ihren gekümmert.
Fiese, alte Glaubenssätze
Was hat das mit dem Familienkompass zu tun, fragt ihr euch nun? Nunja. Selbstfürsorge ist eine große Baustelle bei mir. Als Nora im Buch von ihrer „Tee-Session“ erzählt hat, fühlte ich mich ungemein geärgert und habe begonnen Ausflüchte zu suchen „Ja toll, bei ihr geht das, bei mir würde das nie klappen!“ „Wenn die Kinder so laut Zanken KANN ich gar nicht abschalten, wie soll das gehen?!“ (Spoiler: Dunstabzugshaube an und das Geschrei wird schon viel dumpfer 😛 )
Ich habe tausend Gründe gesucht, warum ich nicht für mich selbst sorgen kann und warum das alles nicht geht. Weil es ein Thema ist, was mich halt wirklich trifft und für das ich bisher keine Lösung gesehen habe. Weil die Verzweilfung so groß war. Weil meine Glaubenssätze sich da erhärtet hatten. Punkt.
Was brauche ich?
Diesmal habe ich eine Lösung gesehen. Diesmal habe ich mich damit auseinandergesetzt und mich gefragt: Was brauche ICH jetzt, um diese Situation lösen zu können und wie erfülle ich mir MEIN Bedürfnis? Ich habe meinen Glaubenssatz „Ich kann die Kinder hier nicht lassen“ geprüft und bin zum Schluss gekommen, dass ich sehr wohl bei geöffnetter Tür nach „Nebenan“ verschwinden kann. Es gibt bestimmt galantere Wege da heraus. Aber ich bin ja noch Anfänger. Das wird 😉 Außerdem hilft mir mein neues Mantra, welches auch direkt einen Glaubenssatz ausradiert hat (Kinder tun XY, um ihren Willen durchzusetzen):
„Sie tut es nicht gegen mich, sie tut es für sich“
Unsere Prägung beeinflusst unser Handeln
Besonders gut fand ich hierbei übrigens Noras Erklärungen, woher unsere alten Glaubenssätze eigentlich kommen. Und ihr Verständnis. Sie zeigt Verständnis für alle Menschen, die darin gefangen sind und sich einfach schwer davon befreien können. Oder zumindest nicht Mal kritisch hinterfragen.
„Es gibt Glaubenssätze, die sind faktisch richtig, und es gibt Glaubenssätze die sind faktisch falsch. Doch weil wir so fest an sie glauben, fühlen sie sich selbst dann richtig an, wenn sie objektiv nicht stimmen – was wir an der eigenen emotionalen Reaktion merken, wenn sie in Frage gestellt werden.“ (Nora Imlau)
Es ist schwierig, keine Frage. Es zu erkennen ist schon eine Sache für sich. Dann auch noch umzudenken und die Impulse immer wieder in Schach zu halten. Uff! Eine Lebensaufgabe. Kein Wunder, dass ich meine Ansprüche ab und an auch aus den Augen verliere und nicht die Mama bin, die ich sein möchte.
Noras Buch half mir aber, einen festen Ankerpunkt, meinen Nordstern festzulegen, sodass es mir nun gelingt schneller zu der Mama zurückzufinden, die ich sein möchte. Auch, wenn meine Glaubenssätze zünden, meine Elternwut mich überkommt.
Wütend sein ist übrigens völlig ok. Es geht nur darum, wie wir damit umgehen. Nicht so toll ist es, sie an den Kindern auszulassen oder gar Kinder als „Schuldige“ hinzustellen, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Schuld gehört eh in keine Beziehung, weder zu Kindern noch anderen Menschen, die wir lieben.
Sonst lernt das Kind es nie
Ein alter Glaubenssatz ist übrigens auch, dass ein Kind „Konsequenzen“ spüren muss, da es ja sonst nichts lernt. Und damit ist eigentlich gemeint, dass es gedemütigt oder auf andere Weise geschädigt werden muss. Das ist halt Erziehung. Allerdings steht seit gut 20 Jahren fest, dass Erziehung ohne Gewalt von statten gehen muss. Liest sich nett im Gesetz, gelebt wird es aktuell dennoch anders. Sei es in Familien, in der Kita oder in der Schule:
„Wenn wir unsere Kinder wirklich ohne Gewalt groß werden lassen wollen, […], dann müssen wir uns von nahezu allem verabschieden, was wir hierzulande unter Erziehung verstehen.“ (Nora Imlau)
Wenn ich dann Sätze wie „das hat mir ja auch nicht geschadet“ höre, muss ich jedes Mal an Katia Saalfranks „Kindheit ohne Strafen*“ denken (Schleichwerbung hihi). Ich möchte jetzt gar keine Inhalte vorwegnehmen und lieber zum Kauf dieses unglaublich guten Buches animieren. Aber ich möchte sagen: DOCH! Es hat geschadet. Allein diesen Schmerz nicht mehr (nach)fühlen zu können, zeigt, dass da eine ganze Menge beschädigt worden ist. Was genau und wie erklärt Katia ganz ausführlich.
Das Kind auf dem Parkplatz stehen lassen
Wichtig ist mir nur zu erläutern, dass ich zwar verstehen kann, wenn ich diese Sätze von Eltern höre, es mich aber dennoch sehr traurig stimmt. Noch trauriger finde ich aber, wenn Pädagog:innen davon Gebrauch machen, die ja eigentlich dazu ausgebildet werden, andere Wege zu finden. Kürzlich hatte eine Bekannte davon erzählt, wie sie ihre Kinder dazu bekommt, zu „gehorchen“ und ins Auto einzusteigen, wenn sie das will:
„Ich sage ihnen, dass ich dann ohne sie fahre und dann fahre ich auch los. Ich fahre um die Ecke und warte da. Die machen das ein- oder zweimal und dann nie wieder“.
Letztlich arbeitet sie da mit Angst. Die Kinder sollen einen Schrecken bekommen. Eine ihrer wichtigsten Bindungspersonen droht damit, sie zurückzulassen und macht dies dann auch noch.
Angst und Gehorsam
Ich mag mir nicht vorstellen, wie schnell das Herz der Kinder in solchen Momenten pochen muss. Welche Bilder sie im Kopf haben. Was malen sie sich in diesem Moment aus, bis sie das Auto der Mama wieder erblicken? Ich musste mich von diesem Gespräch entfernen und bittere Tränen herunterschlucken. Natürlich möchte ich sie an dieser Stelle nicht verurteilen.
Irgendwoher muss dieses Denken und Handeln ja kommen. Vermutlich alte Glaubenssätze. Sie dachte, sie macht in dieser Situation das Richtige für ihre Kinder. Da bin ich sicher. Aber es war ein Gewaltakt. Ein simpler, berechnender Gewaltakt. Und ganz alltäglich. Umstehende Eltern haben zugestimmt, fanden das Verhalten gut. Es war ja nur eine Konsequenz aus dem Verhalten der Kinder.
„Wenn diese [Konsequenz] aber weh tun muss, um wirkungsvoll zu sein, ist sie automatisch eine körperliche oder seelische Verletzung , also Gewalt. Eine echte gewaltfreie Erziehung kann deshalb nur Erziehung ohne Strafen sein.“ (Nora Imlau)
Gewaltfrei klappt in der Theorie gut
Heißt es nicht, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben? Heißt es nicht, dass Bindung und Beziehung ganz vorne stehen müssten? Warum also ist es nicht so? Diese Erfahrung mag eine Einzelne sein. Ja. Doch leider sind sicherlich 90 Prozent meiner – natürlich subjektiven – Erfahrungen aus Familie, Freundeskreis, Bekanntenkreis, Kita und Schule ähnlich.
Was will ich jetzt damit sagen? Der Druck ist groß. Der Druck ist riesengroß! Überall, auch beim „Fachpersonal“ wird ein anderes Bild vorgelebt. Es gibt andere Erwartungen. Daher ist es ungemein schwierig die eigenen Glaubenssätze zu überwinden – alle anderen machen es doch auch so?!
Mein Familienkompass spendet Kraft, er spendet Mut. Mut auf das Herz zu hören, was da leise hämmert und sagt „bitte lass dein Kind einfach Kind sein. Sperr es nicht in diesen engen Rahmen ein“.
Grenzen ja! Aber richtig
Ein Rahmen ist richtig und wichtig. Aber das Wie nunmal auch. Grenzen lassen sich durch Gewalt – Strafen, Drohungen, Konsequenzen – setzen. Grenzen setzen, vor allem persönliche und natürliche, geht aber auch anders. Und auch das erklärt Nora. Und ich möchte dieses Buch unglaublich vielen Menschen ans Herz legen.
Gerade Menschen, die immer total entsetzt reagieren, wenn ich anführe, dass wir versuchen (!) ohne Strafen und Drohungen zu erziehen und dann ganz entsetzt „Ja aber wie lernt das Kind denn dann Grenzen kennen??!!“ schreien (auch von „Fachpersonal“). Ich kann es nicht halb so wundervoll, herzenswarm, verständnisvoll und klug erklären, wie Nora es tut:
„Auch, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, gehe ich respektvoll mit dir um. Und wenn du etwas anderes willst als ich, werde ich meine Macht nicht leichtfertig missbrauchen, um dich dazu zu zwingen.“ (Nora Imlau)
Es gibt keine Lösung für Alle
Es gibt keinen allgemeingültigen Lösungsweg. Je nach Fall, je nach Konstellation und Bindung ist die Antwort immer eine andere. Aber es gibt sie. Es ist nur oft leider sehr sehr schwere Arbeit. Bindungsarbeit. Aber ich kann mit Fug und Recht behaupten: Es lohnt sich! Ich versuche respektvoll und freundlich zu meinen Kindern zu sein, auch, wenn sie sich „daneben benehmen“. Meine Familie würde das nun als Weichspülpädagogik betiteln. Das Kind lernt so keinen Respekt!
„Wenn Eltern davon sprechen, dass sie von Kindern Respekt erwarten, dann meinen sie meist: Ehrfurcht und Gehorsam. [..] Jemanden zu respektieren und zu achten, heist hingegen, seine Integrität anzuerkennen, seine Anliegen ernst zu nehmen und seine Grenzen zu wahren. Und das ist es, worum es im respektvollen Familienleben geht.“
Große Macht bedeutet große Verantwortung
Ich sehe das mittlerweile nicht mehr so. Früher ja. Klares Ja! Ich hatte Angst vor dem Tyrann. Dem Kind, was sich nicht anpassen kann und in der Gesellschaft untergeht. Jetzt nicht mehr. Dank Nora. Dank ihrer wundervollen Bücher. Dank vieler, vieler Menschen die bindungsorientierte Arbeit propagieren und Impulse geben, umzudenken.
„Freundlich und Respektvoll zu sein, macht uns weder zu Untertanen unserer Kinder noch sie zu Tyrannen. Genau genommen ändert es exakt gar nichts an den Machtverhältnissen in unserer Familie – nur daran, wie wir mit unserer Macht umgehen.“
Was nicht heißt, zum Ja-Sager werden zu müssen. Auch ein Nein kann freundlich aber bestimmt sein. Und das versuche ich. Jeden Tag ein bisschen mehr <3 Weil ich überzeugt bin, dass sie dennoch zu aufrichtigen, liebenden, empathischen, starken und selbstbewussten Menschen werden. Oder gerade deswegen.
Konnte ich euch nun Lust auf Mein Familienkompass von Nora Imlau machen, oder habe ich euch verschreckt? Es steckt noch sehr viel mehr da drin, als ich ausgeführt habe. Er lohnt sich!
Anmerkung: Auch Familienberaterin Kiran, mit der ich ja bereits Impulsberatungen und Kurse absolviert habe, hat Noras Buch rezensiert. Schaut gern mal in ihr Video rein. Ich denke, wir sind uns da ganz einig 😉
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Servus Yasmin, toller und informativer Beitrag. Mit authentischen Beispielen aus dem Leben einer dreifachen Mutter. Wirklich toll und vor allem nachvollziehbar für andere Mütter. Bleibt gesund und freue mich auf neue Beiträge.