Bindungsorientierte Erziehung

Foto: Daniel Thulfaut (danielthulfaut.de)

„Warum hältst du so sehr an bindungsorientierte Erziehung fest, wenn sie dich so fertig macht?“, „Ich finde eure Erziehung bescheuert!“, „Vielleicht wären ein paar mehr Konsequenzen oder Strafen doch besser, vielleicht braucht sie das?“. Häufig sehe ich mich der Kritik an unserem Erziehungsweg ausgesetzt, weil er nicht gerade „Mainstream“ ist.

In den sozialen Netzwerken und auch auf dem Blog „beschwere“ ich mich darüber, wie unglaublich schwer mir alles fällt. Wie beschwerlich dieser Weg für mich ist. Wie sehr ich manchmal drohe daran zu zerbrechen. Ich beschreibe meine Tage voll Verzweiflung und Wut. Zeige auf Instagram Bilder von glasigen, erschöpften Augen. Es gibt so viele Leser, die nicht verstehen können, warum ich am Bindungsorientierten Weg festhalte – mich quasi festkralle. Kurz: Ich mache es, damit meine Tochter eine bessere Kindheit hat, als ich.

 

 

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Kleine #Momentaufnahme von gestern Abend. Ich habe erstmal nachgedacht, ob ich das Bild eigentlich posten soll, das Licht war schlecht, das Bild ist unscharf. Nicht „Instagram geeignet“. Aber so ist das Leben als Mum eben auch Mal… Da will ich euch nix vorenthalten. Ich bin traurig, verzweifelt und kämpfe gegen die Tränen. Noch immer. Dieses Gefühl ständig zu Versagen ist scheußlich. Es zieht mich so sehr runter. Allein gestern habe ich 1 Kilo (!!!) Schokopudding gegessen, um meinen Kummer herunterzuspülen … Aber Hauptsache ich fühle mich Fett und hässlich…. Orrrrr… #momselfie #mamaselfie #ohnefilter #fürmehrrealitätaufinstagram #mamablogger #mamablog_nrw #mamablogger_de #attachementparenting #bindungsorientiert #beziehungsorientiert #mamasein #mamakörper #mom #momof2 #momlife #momoftwo

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Wer ist hier der Boss?

Um das zu erklären, muss ich jetzt ausholen. Wir gehen einige Jahre zurück – in meine eigene Kindheit. Ich bin mit  Drohungen, Zwang, Strafen, Schlägen und Tritten groß geworden. Dadurch habe ich tief verankerte Glaubenssätze, die mich einfach glauben lassen, dass es richtig und wichtig ist, Kinder Macht spüren zu lassen. Dass Kinder spüren, wer hier der Boss ist, dass Kinder spüren, dass sie jederzeit unterdrückt und übergangen werden können.

Sie sind ein Spielball der Erwachsenen. Diese Art der Erziehung beruht einfach auf einem Machtgefüge, bei dem die Eltern am längeren Hebel sitzen. Diese ganze Unterdrückung möchte ich nicht für mein Kind. Ich habe unter meiner eigenen Kindheit sehr gelitten. Ich möchte nicht, dass sie auch nur ansatzweise so  sehr leidet, sich so hilflos und ausgeliefert fühlt, wie ich.

Liebende Eltern wollen nur das Beste

Natürlich möchten liebende Eltern per se erstmal nicht, dass ihr Kind leidet oder Gewalt erfährt. Allerdings definiere ich Gewalt ganz anders, als befreundete Elternpaare. Nehmen wir das Beispiel „ins Zimmer schicken“. Ja es gab Situationen, in denen auch ich schon mein Kind ins Zimmer geschickt habe, weil ich nicht mehr konnte. Das habe ich im Anschluss auch erklärt und mich entschuldigt. Ich finde diese Maßnahme aber nicht gut.

Eltern, die ihre Kinder mit „liebevollen Konsequenzen“ erziehen, würden sicherlich auch keinen Befehlston anschlagen und „Geh sofort auf dein Zimmer!“ speien. Sie würden es umformulieren in: „Geh bitte auf dein Zimmer und denk über dein Fehlverhalten nach“ (oder ähnlich).  Klingt erstmal nett und nachvollziehbar, aber was steckt dahinter? Auch hier sehe ich schon Gewalt. Emotionale Gewalt. Im Moment, in dem man das Kind ins Zimmer schickt, zeigt man ganz klar: „So wie du gerade bist, wollen wir dich nicht hier haben!“ Das Kind wird vom Rest der Familie isoliert. Von der Mutter, dem Vater, von allen. Es wird mit seinen Gefühlen, mit seiner Wut, der Frustration oder Traurigkeit – was auch immer passiert ist – allein gelassen.

„Du bist nicht richtig, wie möchten dich hier so nicht haben, wie du bist!“

Wie ich es erlebt habe

Auch ich wurde oft sehr oft ins Zimmer geschickt. Über meine „Vergehen“ nachgedacht habe ich dort aber nie. Ich habe dort geweint. Ich habe mich einsam gefühlt, unverstanden, im Stich gelassen. Und ich entwickelte einen Zorn. Ich war richtig wütend, dass meine Mutter nicht versucht hatte meine Beweggründe zu verstehen und mich abgeschoben hat. Ich habe mich ungerecht behandelt gefühlt. Etliche Male. Irgendwann kam aber auch Resignation hinzu und dann, das Gefühl falsch zu sein.

Meine Gefühle waren ambivalent: Einerseits spürte ich noch immer den Drang mich gegen dieses unfaire Verhalten aufzulehnen, andererseits bohrte sich der Schmerz und der Glaubenssatz, ich sei nicht gutgenug und habe das nun verdient in mein Innerstes.

Es bohrt bis heute und bis heute fehlt mir sehr viel Selbstvertrauen dadurch. Denn in der Stunde meiner tiefsten Verzweiflung lag ich allein im Zimmer und habe in mein Kissen geweint. In der Zeit, in der ich meine Mama am meisten gebraucht hätte, hat sie mich abgewiesen und allein gelassen. So und nicht anders hat sich das so beliebte „ins Zimmer schicken“ angefühlt. Und ehrlich gesagt muss ich den Zusatz „und denk darüber nach, was du getan hast“ belächeln. Welches Kind tut das bitte?! ich möchte mhte mir nicht ausmalen, wie es Kindern oder gar Babys gehen muss, die allein in völliger Dunkelheit im Zimmer sind. Monströs!

Wie man es auch machen kann

Lösungansatz: Natürlich gibt es immer wieder Situationen, in denen man nicht mehr kann. Normalerweise würde ich versuchen hinter das Verhalten zu blicken. Warum ist das Kind so? Ich würde die Wut und Frustration versuchen zu begleiten. Wenn das aber nicht geht und ich sebst emotional aufgeladen bin, versuche ich MICH aus der Situation zu nehmen. Ich sage, dass Ich kurz eine Pause brauche und vor die Tür gehen muss.

In dem Moment mache ich meine Probleme nicht zu den Problemen des Kindes. In dem Moment in dem ich das Kind auf das Zimmer schicke, schiebe ich gleichzeitig die Schuld mit auf das Kind und ich finde, diese Schuld-Schieberei hat in der Erziehung nichts verloren. Was ich mache: Ich signalisiere klar, dass ich eine Auszeit brauche, zeige meine Grenze auf. Das zeigt dem Kind, dass meine Grenze erreicht wurde, und dass das Verhalten nicht gut war, ohne ihm eine Art Schuld aufzubürden oder weh zu tun.

Die Narben meiner Seele trage ich nämlich nicht, weil ich so oft in der Kindheit geschlagen wurde. Die Narben trage ich, weil ich allein gelassen worden bin, im Stich gelassen worden bin mit meiner Wut, wiel ich das Gefühl hatte falsch zu sein, weil ich das Gefühl hatte geliebt zu sein. Ich hatte nie das Gefühl, geliebt zu werden wie ich bin. Ich habe immer nur gefühlt, ich bin falsch

„Ich bin das kleine Kind, das alles falsch macht, das nicht in diese Welt passt!“

Essen unter Zwang

Es gab weitere Situationen, die sich immer wiederholten. Beispielsweise der Zwang den Teller aufzuessen. Eine Situation hat sich besonders in mein Hirn eingebrannt: Wir hatten unsere Mutter „genervt“ woraufhin die Ravioli angebrannt sind. Sie war so wütend, hat die Schuld auf uns geschoben und zwang uns die angebrannten Ravioli zu essen. Es war so ekelhaft, aber wir haben uns nicht getraut uns dagegen aufzulehnen. Ich habe mich so erniedrigt gefühlt in dem Moment. Hilflos. Den Geschmack verbrannter Tomatensoße werde ich wohl nie vergessen.

Seit meiner Kindheit habe ich immer den Drang, meinen Teller aufzuessen. Egal, ob ich mir aufgetan habe oder fremde Personen. Ich kann nichts auf dem Teller liegen lassen, ich muss alles aufessen. Immer. Selbst über das Sättigungsgefühl hinaus. Das ist schon eine Essstörung, antrainiert von meiner Mutter. Und in meinem Fall wurde ich einfach nur dazu aufgfordert aufzuessen. Das war schon schlimm. Wie schlimm muss es erst für Kinder sein, die wirklich mit Gewalt dazu bewegt werden? Denen das Essen in den Mund gezwängt wird? Ich will und kann es mir nicht ausmalen, ohne, dass mir Tränen in die Augen steigen. Das Maß der Hilflosigkeit und Erniedrigung muss so schlimm sein. Das ist für mich Gewalt in ihrer reinsten Form.

Meine Kinder – die Spiegel meiner Seele

Ich bin damals zerbrochen an dieser „klassischen“ Erziehung, die Gang und Gebe war . Ich bin zerbrochen, ich bin kaputt, meine Seele ist kaputt. Ich habe sie mir in den letzten Jahren peu a peu wieder aufgebaut. Durch meine Kinder werde ich nun quasi täglich mit meinen eigenen Kindheitstraumen konfrontiert, weil die Situationen mich triggern. Und ich habe die Wahl dagegen anzukämpfen, die negativen Gefühle nicht zuzulassen und einfach eine bessere Mutter zu sein. Oder ich habe die Wahl mein Trauma auf meine Kinder zu übertragen und ihnen das gleiche Leid zuzufügen, dass ich erlebt habe.

Ehrlich gesagt kämpfe ich lieber mit allen mir verfügbaren Mittel, um dagegen anzukämpfen. Dazu versuche ich auch mich zu wappnen und Hilfe von außen zu bekommen: Mit verschiedenen Beratungen, mit einem Besuch im SPZ, mit einem Mama Coach und auch einer Mutter-Kind-Kur. Das sind Präventivmaßnahmen, damit ich niemals zu härteren Mitteln greifen muss, die dazu da sind, die Kinder einfach zu brechen. Sie helfen mir meinen bindungsorientierten Weg weiter straight zu gehen und ihn durchzustehen.

Niemand hat gesagt es ist leicht!

Niemand hat gesagt, es ist leicht Kinder (bindungsorientiert) zu erziehen. Diesen Anspruch habe ich auch gar nicht. Für mich ist der Weg besonders hart, weil ich so stark in meinen alten Glaubenssätzen verankert bin und diese erst überwinden muss. Es sind Glaubenssätze wie „Kinder müssen Regeln befolgen, damit sie in die Gesellschaft passen“, „Kinder müssen gehorchen“, „Kinder, die nicht gehorchen, müssen bestraft werden“.

Ich trage sie unterbewusst in mir und besonders in Stressituationen kriechen sie wieder an die Oberfläche. Darum bin ich im stetigen Kampf – mit den Kritikern, mit den Vorurteilen aber vor allem: Mit mir selbst! Mein Bauchgefühl ist falsch, meine Instinkte werden von Stress getriggert und ich gehe oft in den „Panik-Modus“. Dagegen muss ich ankämpfen. Es kostet sehr viel Kraft!

Es wäre so viel einfacher der Wut freien Lauf zu lassen. Befehle zu speien und Strafen zu verhängen. Doch stattdessen halte ich inne.

Ich halte mein verletztes inneres Kind zurück und begebe mich auf Augenhöhe. Ich stehe meinen eigenen Kindheitsängsten gegenüber, da ich mich in Claire gespiegelt sehe. Es gibt unzählige Situationen, in denen ihre Handlung eine Situation aus meiner eigenen Kindheit triggert und ich von einer Welle schrecklicher Emotionen umgeworfen werde. Natürlich kann ich diese Welle unterbinden und Barrikaden aufbauen. Ich kann aufhören mich in sie einzufühlen, aufhören sie zu verstehen, sondern schlichtweg mit Strafen drohen und sie dahingehend manipulieren, wie ich sie haben will.

Meine Bürde trage ich selbst

Aber ich will das nicht für sie. Wenn ich das machen würde, wenn ich mich auf diesen Weg begeben würde, dann würde ich diese schwere Bürde, die ich jetzt mit mir herumtrage, auf die Schultern meiner Tochter legen. Ich würde die alten Glaubenssätze auf sie spiegeln, mit all der Gewalt, all den schlimmen Erinnerungen. Und das möchte ich nicht für sie.

Ich möchte nicht, dass sie an meinen Altlasten leiden muss. Dass sie an meiner – pardon – verkackten Erziehung leiden muss. Ich möchte, dass sie unbeschwerter ins Leben startet, mit einem anderen Blick auf die Menschen ins Leben startet. Mit sehr viel mehr Selbstvertrauen und Mut auf die Menschen zugehen kann, als ich es damals konnte. ich möchte, dass sie immer in ihren Ängsten, bedürfnissen und Emotionen gesehen und ernst genommen wird. Ihr Leben soll von Liebe, verständnis und Akzeptanz geprägt sein. So und nicht anders sollen meine Töchter groß werden. Und dafür gehe in den bindungsorientierten Weg und ich lasse mich nicht davon abbringen. Für meine Töchter.

 

#herzensschule #GewaltfreieKindheit

Initiative gewaltfreie Kindheit

[Anmerkung] Bindungsorientierte Erziehung heißt NICHT, dass Kinder kein Grenzen bekommen. Die Grenzen werden lediglich nicht durch Drohung, Gewalt oder Zwang durchgesetzt.

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