Bedrückende Gedanken in der Schwangerschaft

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich diesen Post wirklich schreiben soll. Er ist ein sogenannter „Herzenspost“ – ein Thema, welches mir nahe geht und die Emotionen sicherlich erneut hochkochen lassen wird. Ich habe mich dafür entschieden. Immerhin war ich bisher immer ehrlich zu meinen Lesern. Also auch jetzt. Mich verstecken möchte ich nicht, das wäre ich nicht…

Who let the Trolls out?

Es geht um einen Rückblick, um Selbstvorwürfe, um große Emotionen, Luftschlösser und Hass. Vor allem um Hass. Es geht um meinen Beitrag, den ich über das Geschlecht von Baby Erbse geschrieben habe und meinen Gefühlen dabei. Als ich damals auf „Veröffentlichen“ geklickt habe, war mir völlig klar, dass es Eltern gibt, die nicht nachvollziehen können, was ich empfinde, weil sie ganz anders empfinden.

Wenn man nicht die gleichen Erfahrungen hat, wie andere Menschen ist es oft schwierig sich hineinzuversetzen. Die Wünsche und Träume zu verstehen. Auch ich habe manchmal meine Probleme und reagiere etwas über. Allerdings hatten die Reaktionen mit Überreaktion nichts mehr zu tun. Es war der blanke Hass, der mir entgegen gespien wurde. Obwohl ich nichts weiter tat, als offen über meine Gefühle zu schreiben… Viele Vorwürfe und Kommentare hatten weder Hand noch Fuß. Viele Reaktionen waren nicht nur verletzend, sondern richteten sich nicht nur gegen mich, sondern auch gegen das Baby. Es solle lieber zur Adoption freigegeben werden. Ich war schockiert. Wirklich! Ich habe schon einige Trolle erlebt, aber das war bisher die absolute Spitze des Eisbergs.

„Dir sollte das Kind weg genommen werden, bzw. hoffentlich packt es das Kind nicht, zum Wohle seiner selbst!“

Welcher Typ Mensch wünscht anderen den Tod?

Man kann sicherlich ausfallend werden, aber einem kleinen Baby im Mutterleib den Tod zu wünschen? Was ist mit diesen Menschen los? Und vor allem: Welche Werte geben sie mal IHREN Kindern weiter? Dass man im Internet anonym ist, und Menschen anhand eines Textes verurteilen darf? Dass man anderen Menschen aufgrund entgegengesetzter Gefühle den TOD wünschen darf? Ich hoffe sehr, dass diese Inhalte nicht an die Kinder weitergegeben werden. Das wäre doch schon sehr traurig für unsere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die sich damit rühmt tolerant zu sein. Offen zu sein, für andere Kulturen und Religionen. Wenn es aber darum geht, das eigene Unverständnis zu wecken, ist es aus mit der Toleranz. Dann prügelt man los. Und zwar ohne Grenzen zu kennen.

Jegliche Moral, jegliche Höflichkeit ist verloren und wandelt sich in pure Respektlosigkeit und Hass. Ich wurde wirklich sehr beleidigt: Als Mensch und auch als Mutter. Einige Kommentare bezogen sich plötzlich direkt auf meine Fähigkeiten als Mutter. „Die armen Kinder“ waren da die harmloseren. Ist es wirklich wahr? Kann man einen Menschen aufgrund eines einzelnen Beitrages derart abwerten? Ihn verurteilen? Verteufeln? In vielen Dingen bin ich mir echt unsicher. Aber, liebe Trolle, das weiß ich: Ich bin eine gute Mutter! Nicht perfekt, aber bemüht dazuzulernen und es besser zu machen.

„Und wenn es nicht so sein sollte und sie sich wirklich in Trauer befindet, kann ich nur Mitleid für den kleinen Jungen empfinden. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. ?“

Männerhass, Clickbaiting, Asozial

Andere Kommentatoren gingen noch weiter! Sie empfahlen mir eine Therapie – ich war überrascht, dass scheinbar Psychologen meinen Blog lesen oder aber – das wäre eher meine Vermutung – irgendwelche Hobbypsychologen sich aufplustern (?) wollten und ominöse Ratschläge gegeben haben. Das ging so weit, dass sogar mein Mann, weil er mich unterstützt (!) gleich mit zur Therapie sollte. Echt jetzt? Männerhasserin, Narzisstin – das bin ich? Mein Freundeskreis würde sicher in helles Gelächter ausbrechen, würde er das lesen. Über die Vorwürfe von Clickbaiting und Sensationsgeilheit konnte ich nur noch müde lächeln.. Wirklich ermüdet von all dem Hass…

„Asozial. Einfach widerlich und asozial.
Solche Eltern hat kein Kind verdient…“

Ich habe wirklich kein Problem damit, wenn ich kritisiert werde. Sachlich. Aber es gab Leser und auch Blogger, die sich des Thema leider nicht wirklich sachlich annahmen und Dinge über mich verbreitet haben, die ich nicht nachvollziehen konnte. Die Aspekte, die ich betont habe, wurden überlesen. Anders dargestellt. Entweder ich schreibe echt verdeckt zwischen den Zeilen, oder manche waren verblendet. Gibt es bei Hass auch eine Art Brille, wie in der Liebe? Schwarz statt rosarot? So kam es mir vor.

Verbales Auskotzen mit hasserfüllter Note

Ich hatte das Gefühl, sie lesen nur „enttäuscht über Geschlecht“ und kotzen sich erstmal aus. Dass da viel mehr im Beitrag stand, sehr viel mehr, das wurde überlesen… Es ging nämlich auch um die Enttäuschung über mich, Wut auf mich! Verwirrtheit ob meiner Gefühle und kritische Fragen an mich selbst, da ich mich selber nicht mehr verstand. Alles scheiß egal! Ich hatte das Gefühl, dass einige das einfach nicht gelesen haben (lesen wollten). Oder es war ihnen egal, weil es ja ohnehin absolut verwerflich ist, sich ein Geschlecht zu wünschen, Präferenzen zu haben (ist es aber definitiv nicht!).

„Ganz ganz fürchterlich, wenn so eine Mutter, die ihr Kind verachtet noch mehr Zuspruch bekommt. Ich hoffe bei allem, dass ihr keine weiteren Kinder bekommt. Grausam, wenn kleine Seelen so lieblos großgezogen werden.“

Viele Mütter haben sich sogar attackiert gefühlt. Attackiert von meinen Gefühlen? Ich sollte froh sein, andere Mütter hätten schon Fehlgeburten Erlitten und freuen sich, wenn das Kind gesund ist. Erstens habe ich auch eine Fehlgeburt erlitten – und war wirklich am Boden zerstört und zweitens freue ich mich auch jedes Mal, wenn die Frauenärztin mir sagt, dass es dem Baby gut geht. Diese indirekten Unterstellungen, weil man einen bestimmten Wunsch hegt, machen für mich keinen Sinn. Was genau möchten diese Frauen damit ausdrücken? Möchten Sie ihrer eigenen Trauer einen Kanal geben? Kommen sie nicht damit klar? Sind sie einfach blind vor Wut? Ich verstehe, in ihren Augen erscheine ich undankbar. Man soll dankbar sein, für das was man hat. Aber wo kommen wir hin, wenn es nicht erlaubt wird, zu träumen?

Wie ich heute über die Situation denke

Zunächst einmal möchte ich hier eines klar stellen: Ich habe nie gesagt, dass ich das Kind nicht lieben würde. Ich habe es mich gefragt, ob ich es später kann, meine Angst signalisiert. So wie andere Mütter sich fragen, ob sie ihre beiden Kinder gleichermaßen lieben können (und scheinbar klappt auch das immer). In dem Beitrag habe ich meine Wut und Enttäuschung auf mich gezeigt. Nicht unwichtige Aspekte, die bei all dem Hass immer vergessen wurden. Oft wurde mir das Feedback gegeben, dass der Beitrag sehr gefühlvoll sei, reflektiert. Daher kann ich Reaktionen wie diese nicht verstehen:

„Wow. Was für verachtende Worte. Deine riesengroße Abneigung kommt mit jedem einzelnen Wort zum Ausdruck.“

Trotz Hass: Jeder Kommentar wurde gelesen

Verachtung habe ich in keinster Weise erwähnt, weder so gefühlt noch daran gedacht. Was ich mir allerdings gedacht habe, war, dass die Kommentatorin scheinbar einen anderen Beitrag gelesen hat, oder sich die Brillengläser putzen sollte… Dennoch: Ich habe jeden Kommentar gelesen. Jeden. Auch die hetzerischen, die beleidigenden, die verachtenden und hasserfüllten. Bei Weitem habe ich nicht auf alle reagiert. Ich konnte es nicht. Dieser gesamte Hass hat mich so überwältigt und fertig gemacht – ich habe mich gefragt, ob den Kommentatoren bewusst war, dass sie gerade eine schwangere, ängstliche Frau so fertig machen? Eine Frau, die schon ein Baby verloren hat, enttäuscht von sich selbst ist und nun auch noch so viel Hass aushalten soll. Ich habe mich gefragt, ob sie vielleicht eine Fehlgeburt auslösen möchten, oder sich gar nicht Gedanken darüber machen, wie sowas von einer hormongesteuerten Frau aufgenommen werden kann? Ich habe mich gefragt, ob sie sich nicht dafür schämen, so ausfallend geworden zu sein.

Ich habe aber auch darüber nachgedacht, woher diese Gefühle kommen können. Mit meinem Partner darüber gesprochen mit meiner Therapeutin. An diesem Tag ist eines passiert: Mein Luftschloss ist (erneut) in sich zusammengebrochen. Um das zu verstehen muss ich kurz ausholen. Als es meinem Vater im Januar letzten Jahres besser ging, dachte ich, endlich sei der Krebs besiegt. In meinem Kopf habe ich mir ausgemalt, dass wir im Sommer zusammen campen gehen könnten, wie früher. Ich habe angefangen Luftschlösser zu bauen, mir Erlebnisse vorgestellt, eine Zukunft gesehen. Der plötzlich Tod Ende Februar kam mit einer Wucht auf mich zu, dass dieses Luftschloss einfach zerbröselte und nur Trauer zurückließ.

„Ich glaube, ihr habt alle den Umfang von Yasmins Verdrehtheit nicht begriffen.
Klar sind erste Reaktionen und Impulse oft fragwürdig aber bei dir scheint diese Schieflage über den ersten Impuls hinaus zu gehen.
Ich lege dir hiermit eine Psychotherapie ans Herz. Ich meine es ernst, denn man erkennt bei dir Ansätze einer narzistischen Persönlichkeitsstörung.“

Neue Hoffnung und ein neuer Scherbenhaufen

Hoffnung kam auf, als wir uns als Familie für Nachwuchs entschieden hatten. Kaum hielt ich den positiven Test in der Hand, fing ich erneut an ein Luftschloss zu bauen. Luftschlösser baue ich schon mein ganzes Leben. Ich habe immer dieser „Was-wäre-Wenn-Vorstellungen“. Ich sprach dem Baby jeden Tag gut zu, war glücklich und war mit dem Baby gedanklich schon in Pekip-Gruppen unterwegs und im Park spazieren. Und dann kamen die Schmerzen, das Blut, es war vorbei. Ich hatte eine Fehlgeburt erlitten. Das Baby war ebenso schnell fort, wie es gekommen war. Wieder zerbarst mein Luftschloss in tausend kleine Teile. Schon fast einmal zu viel für mich…

Das gesamte Jahr war ein auf und ab an großen Emotionen. Viel Trauer, viel Leid, viele Tränen. Als ich dann, nur kurze Zeit später, wieder schwanger war, habe ich mir verboten, mich zu freuen! Verboten Luftschlösser zu bauen, zu hoffen. Ich habe versucht meine Gefühle einzuschließen. Die Freude wegzusperren, stattdessen hat Angst diesen Platz eingenommen. Dann gingen die Wochen vorbei…die achte, die zehnte….die zwölfte… Ich erlaubte meiner Hoffnung sich gegen die Angst aufzulehnen.

„Also man braucht den Blogpost gar nicht lesen um zu wissen was drin steht. Ich habe ihn auch nicht gelesen, aber ich möchte dir sagen sei froh das du Kinder bekommen kannst und das sie gesund sind.“

Die Emotionen drängen sich nach vorn

Das geschah in Form weiterer Luftschlösser: Vor meinem inneren Auge sah ich ein Mädchen, also eigentlich zwei. Claire und ihre Schwester – Marie. Claire und Marie, wie sie spielen, lachen, tanzen. Ich habe von Mädchen geträumt. Schon bei Claire hatte ich von einem Mädchen geträumt und der Gedanke, dass es ein Mädchen sein muss, hat sich manifestiert. Und dann kam der Tag beim Frauenarzt. Wie immer hatte ich Angst und Sorge, ob noch alles in Ordnung ist. War angespannt. Noch war die Angst nicht besiegt. Und in diesem Moment eröffnet mir die Ärztin, dass es wohl ein Junge werden würde. Und das nächste Luftschloss fiel in sich zusammen.

Und mit diesem Luftschloss holten mich augenblicklich alle Gefühle ein, die ich versucht hatte wegzusperren. Mich holte das verdammte letzte Jahr ein, all die Trauer, all die Tränen. Ich weiß nicht warum, aber an diesem Tag prasselte alles auf mich hernieder. Waren es die Hormone? War ich einfach schwach? Ich weiß es nicht. Aber an genau diesem Tag ging es mir so schlecht – vor allem weil ich so enttäuscht von mir war – dass ich den Beitrag einfach hernieder schreiben musste. Ich wusste nicht mehr wohin damit…

„Tut euch einen gefallen und bekommt keine Kinder. Ihr wisst doch kein Stück was ihr einer so kleinen Seele antut.“

Und jetzt? Jetzt freuen wir uns auf das Baby

Oft werde ich jetzt gefragt, ob ich das Geschlecht mittlerweile akzeptieren würde. Ja sicher! Es ist mein – quark – unser Baby und wir freuen uns darauf. Natürlich waren wir gedanklich auf Mädchen eingestellt, natürlich kommt der Gedanke hin und wieder auf. Aber ich habe akzeptiert, dass ich mich in etwas verrannt habe, mich meine Emotionen einfach hinfortgerissen haben. Ja, ich wünsche mir noch immer ein Mädchen. Vielleicht probieren wir es ja mit einem weiteren Kind. Denn ja – ich bin ein Mensch, der sich ein Mädchen wünscht. Ein grausamer Mensch, der sich ein bestimmtes Geschlecht wünscht…

Aber ich kann mir schon jetzt eine Frage selbst beantworten: Ja, ich kann einen Jungen lieben, denn ich liebe das Baby schon jetzt. Ich habe noch immer Angst um das Baby und freue mich jeden Abend auf den Herzschlag. Die Starre ist von mir abgefallen und langsam lassen sich die Emotionen wieder in ruhigere Bahnen lenken.

„Diese armen Kinder werden nie ehrliche Mutterliebe verspüren dürfen…

War der Beitrag ein Fehler?

Viele haben mich gefragt, ob ich bereut habe den Beitrag geschrieben zu haben. Das habe ich mich selbst gefragt und kam zu einem Entschluss: Nein! Denn es gab noch mehr Frauen, die eine Enttäuschung erlebt haben, die sich hinter ihren Gefühlen versteckt haben. Ich erhielt PN´s, Kommentare und Mails von Frauen, die ähnlich empfanden. Sich aber der Gesellschaft nicht stellen wollten oder konnten. Was ich verstehen kann. Die Gesellschaft fordert perfekte, glückliche Mütter. Es gibt keinen Platz für negative Gefühle, weder in der Schwangerschaft noch Mutterschaft. Aber mein Blog dient als Plattform sehr wohl Platz dafür zu schaffen! Meine damaligen Depressionen wurden vor allem davon verstärkt, dass ich immer nur die „glücklichen“ Blogs gelesen habe.

Selbst anstrengende Tage wurden mit einem Lächeln abgeschlossen. Jeder Beitrag endete mit einem Happy End. Allerdings hat das Leben nun mal nicht immer ein Happy End. Zumindest nicht meines. Darüber möchte ich lamentieren dürfen. Ich möchte zeigen dürfen, dass es auch eine Schattenseite der Elternschaft gibt. Dass Depressionen und Burn-Out keine Seltenheit sind. Ebenso wie meter-hohe Wäscheberge, Heulattacken und Nervenzusammenbrüche. Das alles hat eine Berechtigung zu existieren. Und darum bereue ich meinen Beitrag nicht. Er und meine Gefühle haben eine Berechtigung. Es ist ok so zu fühlen, denn für Gefühle kann man nichts. Die große Leistung besteht nun etwas Positives daraus zu machen oder eben daran zu scheitern. Beides ist ok. Wenn man es wenigstens versucht…

„Warum nimmt man sich eigentlich das recht raus sich ein Geschlecht zu wünschen ? So viele Frauen können einfach keine Kinder kriegen und Frauen die es können „jammern“ über sowas lächerliches ?“