Als ich „All die verdammt perfekten Tage“ zum ersten Mal gesehen habe, dachte, es handle sich um eine typische Teenie-Lovestory. Ich habe mich geirrt. Dahinter steckt mehr. So viel mehr. Tränen der Fassungslosigkeit, Verständnis, Hoffnungslosigkeit und ganz zart dann doch – Liebe.  Autorin Jennifer Niven tritt dabei nicht in die Fußstapfen von John Green – nein. Aber sie eifert ihm nach. In puncto Genialität. Wer sich für das Buch entscheidet, sollte mit tief-dunklen Gefühlen und clever-spitzigen Dialogen klar kommen.

Klappentext:

Ein Mädchen lernt zu leben – von einem Jungen, der sterben will

Ist heute ein guter Tag zum Sterben?, fragt sich Finch, sechs Stockwerke über dem Abgrund auf einem Glockenturm, als er plötzlich bemerkt, dass er nicht allein ist. Neben ihm steht Violet, die offenbar über dasselbe nachdenkt wie er. Von da an beginnt für die beiden eine Reise, auf der sie wunderschöne wie traurige Dinge erleben und großartige sowie kleine Augenblicke – das Leben eben. So passiert es auch, dass Finch bei Violet er selbst sein kann – ein verwegener, witziger und lebenslustiger Typ, nicht der Freak, für den alle ihn halten. Und es ist Finch, der Violet dazu bringt, jeden einzelnen Moment zu genießen. Aber während Violet anfängt, das Leben wieder für sich zu entdecken, beginnt Finchs Welt allmählich zu schwinden…

All die verdammt perfekten Tage

Jennifer Niven

Limes (Verlagsgruppe Random House)

„All die verdammt perfekten Tage“ von Jennifer Niven

Cover: Schick! Als ich das Bild vom Mädchen auf dem Mond gesehen habe, dachte ich mir, das sei eine typische Liebesschnulze: Mädchen trifft Junge – Mädchen mag Junge nicht – sie streiten viel – verlieben sich – er holt ihr die Sterne von Himmel – böse Stiefmutter – Happy End. Tja, leider war an diesem Buch aber leider so gar nichts klischeehaft und schon gar nicht happy. Der Schein trügt. Das wird spätestens beim Klappentext klar. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, den erwartet eine wundervoll-emotionale Story.

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Inhalt: Es geht um nichts anderes als Depressionen und Selbstmordgedanken. Eine Liebesgeschichte ist mit dabei, ja. Aber sie rückt in den Hintergrund. Vielmehr wird beschrieben, was eine Depression mit dem menschlichen Geist – sei es noch so brilliant – macht. Finch ist ein wirklich intelligenter Junge. Er schreibt Songs, ist poetisch, kennt sich in Literatur aus… Und er hat Depressionen. Scheinbar fingen sie schon in seiner tiefsten Kindheit an, als seine Eltern seine Verlustangst unterschätzt haben. Gestärkt vom Verlust seines Vaters ist ihm dann tatsächlich – man kann es schon gar nicht anders sagen – eine Sicherung durchgebrannt. Er beschreibt immer einen Zustand von SCHLAF im Gegensatz zu WACH: Scheinbar funktionieren seine Synapsen halbwegs, so lange er wach ist. Wenn er schläft sinkt sein Überlebensinstinkt scheinbar auf 0.

„Du bist bereits ein Überlebender, aber dein Überleben – dein emotionales Überleben – wird davon abhängen, wie gut du mit deinem Schicksalsschlag umzugehen lernst.“

Violet leidet ebenfalls an Depressionen, wohl aber nicht so stark. Sie verlor ihre Schwester bei einem Unfall und muss ins Leben zurück finden. Sie treffen aufeinander – bei einem halbherzigen Suizidversuch und freunden sich irgendwie an. Es könnte eine wundervolle Geschichte sein, wären da nicht die Probleme, die Depressionen mit sich bringen. Selbstzweifel und Ängste. All das, die Emotionen, die Gefühlsachterbahn, hat Jennifer einfach grandios beschrieben. Die Charaktere haben mich berührt und das nicht nur, weil ich selbst Erfahrungen mit Depressionen machen musste. Nein. Ich habe mich auch in de Charaktere verliebt. Besonders in Finch schaurig-romantische Ader. Er hat Dinge in der Welt gesehen, die sonst keiner sieht. Schönheiten erkannt, wo andere nichts sehen.

Aufbau und Struktur: Das Buch ist in zwei Perspektiven verfasst. Der von Finch und der von Violet. Dem Wechsel kann man  leicht folgen, da die Kapitel optisch voneinander getrennt werden. Somit ist der Perspektivenwechsel gut gelungen und man muss sich nicht darauf konzentrieren.

Stil: Was auch besser ist, denn Jennifer Nivens Schreibstil ist wirklich anspruchsvoll: Hier schreibt keine unerfahrene Jungautorin, hier schreibt eine Meisterin ihres Handwerks. Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen. All die Zitate, die Wortgewalt, die Szenerie – es hat mich einfach mitgerissen. Ich bin wirklich schwer begeistert. Ein kleiner Auszug:

„Ich denke an meinen eigenen Nachruf, der noch geschrieben werden muss, und an alle Orte, die ich erwandern werde. Nicht länger festgewurzelt, sondern wie Gold, fließend. Ich spüre tausend Möglichkeiten in mir emporsprudeln.“

Gesamteindruck: Ich komme nicht drumherum einfach endlos begeistert zu sein. Das Buch ist traurig. Wirklich traurig. Normal lese ich Bücher, die fröhlicher sind. Aber gerade diese Melancholie, die düsteren Themen haben mich gepackt. Weil ich sie verstehe. Weil ich diesen Hirnbrei nachvollziehen kann. Manche Handlungen sind einfach unsinnig – aber man kann es durchaus nachvollziehen… Wenn man Depressionen kennt. Und der Sprachstil, das Niveau das sie vorgibt, haben mich einfach vollends überzeugt. Jennifer Niven gelingt es, auf hohem Niveau zu schreiben, aber dennoch jugendrecht und verständlich. Sie schafft scheinbar mühelos eine Brücke zwischen einer Liebesgeschichte und gesellschaftskritischem Tabuthema zu bauen. Sie verdient 5 von 5 Funkelchen. Ganz klar.

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