Es ist 4.30 Uhr morgens, die Prinzessin schreit. Wieder Mal. Das ist nun bestimmt das Zehnte Mal heute Nacht, dass sie mich weckt. Ich stütze mich auf meinen Unterarm und ziehe sie zu mir heran. An ihren Windeln fühle ich, dass sie noch trocken ist. Hat sie wieder Hunger? Dabei hat sie doch erst vor 20 Minuten eine kleine Portion gegessen, ehe sie an meiner Brust eingeschlafen ist. Was soll´s, ich bin ja schließlich Mutter, ich habe es mir so ausgesucht. Kaum habe ich meine Brust ausgepackt und die Prinzessin angelegt, kehrt Ruhe rein. Für die nächsten 20-40 Minuten. Das kenne ich ja schon. Nächte wie diese sind normal geworden. Ich falle sofort wieder in einen Tiefschlaf, bekomme es gar nicht mit, als die Maus rund 50! Minuten (Juhu) wieder quäkt. Es ist mein Mann der mich wachrütteln muss. Er selbst hat einen leichten Schlaf und findet schwer wieder hinein. So wie er mich ansieht, hat er heute Nacht maximal 1 Stunde geschlafen. Ich danke ihm und schicke ihn auf die Couch. Weiter geht´s.

Bedürfnisorientierte Erziehung

Psychische und körperliche Beschwerden

Nach dem Aufstehen würde ich gern auf´s Klo gehen. Das geht aber leider nicht, denn die Maus hat es nicht gern, wenn Mama sich erleichtert. Sie muss überall mit dabei sein. Also nehme ich sie auf den Arm. Ich habe gelesen, dass dem Kind ein paar Minuten weinen schon wie Stunden vorkommen. Sie werden panisch und man stört die Mutter-Kind -Bindung, wenn man sie weinen lässt. Das will ich nicht riskieren. Schließlich will ich ja, dass es ihr gut geht. Ich halte sie im einen Arm fest, mit dem anderen Arm ziehe ich mir ein wenig ungelenk die Hose über die Knie. Dann lasse ich mich aufs Klo sinken. Geschafft. Nun fängt sie an zu wimmern. Ernsthaft? Auf der Toilette? Nee, das kommt nicht in Frage. Ich versuche so schnell wie es geht fertig zu werden, ziehe mir die Hose halb über den Po und spute mich auf die Couch zu kommen. Da lege ich sie kurz ab, um mich richtig anzuziehen. Gott sei Dank kam der Postbote nicht wieder! Wobei. Was nicht ist… Das letzte Mal kam er auch, als ich gerade gestillt habe und total übermüdet habe ich ihm dann mit heraushängender Brust begrüßt. Peinlich, wenn man es erst danach merkt… Aber so ist sie halt, diese Stilldemenz, gepaart mit geistiger Umnachtung. Anderen Müttern geht es ja auch so wie mir und keine beschwert sich. Also habe ich nicht das Recht mich zu beschweren. Dass ich seit Wochen unter Schlafentzug leide und nicht mehr als 2 Stunden pro Stück geschlafen habe, macht sich nicht nur an meinem geistigen Zustand bemerkbar. Ich verliere Haare ohne Ende, habe meine ersten grauen Haare bekommen. Außerdem ist meine Haut fahl und pickelig. Nicht unbedingt dieses hippe Latte-Macchiatto-Bild, was mir immer in den Babyzeitschriften entgegen gelächelt hat. Die habe ich mittlerweile auch entsorgt. Zu deprimierend.

Mission Impossible: Baby ablegen

Ich versuche mir schnell ein Brot zu machen – mit einer Hand eine wahre Kunst, aber ich komme bald zur Vollendung ohne dabei den halben Tisch einzusauen. Dann versuche ich Prinzessin dazu zu bewegen kurz im Stubenwagen zu bleiben. Wie immer ist sie nicht besonders angetan davon. In das Tragetuch will sie aber auch nicht. Nur, wenn sie müde ist. Das Ding scheint ihr zu unheimlich, oder Mama stellt sich zu doof an. Schade. Also versuche ich eben so mal eben durch zu saugen. Staubsauerrohr in der einen, Baby in der anderen Hand. Um das Saugen komme ich nicht herum mit zwei Stubentigern, die ihr Katzenstreu durch die Bude kicken, als wäre sie ein riesiger Sandkasten. Ans Wäsche machen ist nicht zu denken. Ich bin müde und erschöpft. Also setze ich mich auf die Couch und lasse ein paar Serien laufen, während die Maus auf meinem Arm eindöst. Soll ich es wagen? Soll ich tatsächlich so verwegen sein? Hach, ich lass es drauf ankommen! Ich drapiere ein Stillkissen so, als wäre es mein Arm. Mit dem restlichen Tee aus der Kanne den ich mir gemacht habe, wärme ich die Stelle vor, an der ich die Maus ablegen möchte. Alles ist perfekt. Nun bewege ich mich ganz langsam und sachte mit dem Oberkörper herab. Erst lege ich vorsichtig ihren Po ab. Kurz halte ich inne. Sie hat gezuckt. Jetzt geht es wieder. Uff. Also nun das Köpfchen gaaanz langsaa… ! Kaum berührt ihr Kopf die Couch klappen ihre Augen auf, wie bei dieser lustigen Babyborn-Puppe. Nur, dass sie ein wenig grimmig zu sein scheint. Mein Vorhaben wird mit lautem Gezeter kommentiert. Ok… zurück auf den Arm. Schauen wir halt weiter Serien. So geht das den ganzen Tag. Bis 18 Uhr. Da ist sie dann wieder da, die Crime-Time. Oder auch Wolfs-Stunde. Mausi fängt an zu brüllen – Täglich fast pünktlich wie eine Uhr. Das seien Koliken hat man uns gesagt. Man kann nichts dagegen tun. Na ok. Dann stehen wir es halt durch… Irgendwie… Viel Liebe und im Arm halten, hat man uns gesagt. Das sei ein Bedürfnis nach Nähe. Das muss gestillt werden. Ok, Tragetuch, kuscheln, Haut an Haut… Und sie schreit und schreit und schreit. Wieder bis knapp vor 23 Uhr. Uff. Diese Phase hat sie knapp 3 Monate. 3 Monate haben wir jeden Abend dieselbe Party… Wir haben alles probiert…(Außer das Schlaftraining zu dem der Kinderarzt geraten hatte) Windsalbe, Massagen, Tragen, Fliegergriff, sogar den Osteopathen. Es half nichts. Wir machen einfach weiter. Ich habe alles gegeben. Weil wir müssen. Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher, als einmal wieder durchschlafen zu können. Einmal Kraft tanken. Doch es hilft nichts… Das geht ewig so weiter. Bis ich mich entschließe die Flasche einzuführen und schrittweise abzustillen.

Das erste Mal tat´s noch weh

Da habe ich es das erste Mal gemacht. Meine Bedürfnisse über die, des Kindes gestellt. Sie bekommt fortan die Flasche. Schläft schon länger nachts und ich freue mich über 3 Stunden Schlaf am Stück. Natürlich habe ich dieses schlechte Gewissen. Immerhin war ich ja eine egoistische Mutter und habe die Maus schon mit 6 Monaten abgestillt. Der Aufschrei anderer Mütter war groß. In allen Gruppen lese ich, wie verdammt toll stillen sein soll (ich mochte es noch nie wirklich, habe es aber gemacht, weil ich gelesen habe, es sei das Beste). Aber was sollte ich machen? Mittlerweile wurde ich aggressiv. Erst meinem Mann gegenüber und dann selbst meiner kleinen Prinzessin. Ich habe daran gedacht sie zur Adoption freizugeben. Ich stand hin und wieder am Balkon und dachte daran, es würde alles aufhören, wenn ich doch nur springen würde. Ich dachte, ich sei nicht zur Mutter geboren und mein Kind würde unglücklich mit mir sein. Mich bestrafen wollen, weil ich sie zuerst gar nicht wollte. Viele bösartige Gedanken kreisten in meinem Kopf, angeheizt mit den Stimmen dieser ATP-Mütter, die sich dem Leben als Mutterkuh hingeben können, scheinbar ohne Schlaf und Freiraum zu benötigen. Ich war überfordert, übermüdet, überdrüssig. Und ich war nicht der Typ Mensch für das ATP-Programm. Charakterlich bin ich ein Freigänger. Einschränkungen nehmen mir die Luft zum atmen. Nicht unbedingt gute Voraussetzungen für eine gute Mutter. Dachte ich. Aber so ist es nun mal. Claire hat mich in meinem Wesen eingeschränkt. Ich war nicht mehr ich. Ich fühlte mich erdrückt… Wollte raus aus dem goldenen Käfig.

Mit 1 Jahr lies ich sie für 3 Tage allein- und war frei

Das Abstillen hat zumindest ein bisschen geholfen… Es hat immer noch gedauert bis sie 1 Jahr alt war und halbwegs gut geschlafen hat. Halbwegs. Denn das Schlafritual hat einfach ewig gebraucht. Manchmal Stunden. Zeit, die ich eigentlich gar nicht hatte. Und auch nicht haben wollte. Ich wollte, dass es so klappt, wie bei einer Freundin: Kind ins Bett legen, Kind schläft. Schreien lassen kam nie in Frage. Aber Verschiedene Systeme haben nichts gebracht. Es wurde erst schrittweise besser. Dennoch, es wurde mir wieder zu viel. Meine Nerven, nein, unsere Nerven lagen blank. Kind ins Bett ging nicht, auf dem Arm ging nicht. Kind schlief noch nicht richtig und schrie auf, als wir das Zimmer verlassen wollten, im Ehebett ging auch nicht usw. Ich entschied eine Auszeit zu nehmen. 3 Tage nur für mich und meinen Mann. Die Prinzessin kam zur Oma. Und wieder dieses schlechte Gewissen. Immerhin gebe ich sie ja ab. Wie herzlos muss man sein, sowas tun zu können? Andere Mütter lassen ihr Kid JAHRE nicht allein. Ich gab sie schon mit ein paar Wochen für ein paar Stunden ab, um auf einen Geburtstag zu gehen. Anfangs schrieb ich der Oma auch sicher alle 30 Minuten eine Nachricht und habe nach dem Status gefragt. Dann wurde ich ruhiger. Ich habe es genossen unter Freunden zu sein. Hatte das erste Mal wieder das Gefühl ich zu sein. Nicht die Mutterkuh, nicht der Windelservice. Einfach ich. Ich war unter Freunden, konnte meine Interessen teilen – nicht die Windelstories. Und das tat gut. Die Einschlafproblematik war übrigens erst mit knapp 2 Jahren wirklich behoben. Mittlerweile brauchen wir nur noch 10-20 Minuten dafür. YES! Eine deutliche Entlastung für unsere Nerven und auch Partnerschaft. Allerdings leide ich immernoch unter akutem Schlafmangel und werde die grundlegende Müdigkeit in meinen Knochen nicht mehr los.

Bedürfnisorientiert sollte sich an BEIDEN Bedürfnissen orientieren

Das könnte ewig so weiter gehen. Immer wieder breche ich aus der Rolle der Mutter heraus und bin wieder ganz „die Alte“. Und mittlerweile, da bereue ich es nicht mehr. Wieso? Weil ich gelernt habe, dass bedürfnisorientierte Erziehung nicht heißt, sich nach dem Leben des Kindes auszurichten, und nur die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen. Das bin nicht ich. Das Kind bekommt keinen Schaden davon, wenn ich es mal für 5 Minuten im Stubenwagen schreien lasse, um aufs Klo zu gehen. Oder zu duschen. Das Kind muss nicht in meinem Bett schlafen, um gut zu schlafen und sich erholen. Das Kind braucht eine stabile Mama. Eine Mama mit Power. Und die kann ich nur sein, wenn ich meine Kraft nicht dazu aufbringen muss´, mein Ich zu unterdrücken.

Nein. Bedürfnisorientiert sollte heißen, dass sich die Bedürfnisse der Mama und des Kindes aufeinander einspielen.

Dass das Kind lernt, dass es auch andere Menschen gibt, aber es dennoch geliebt wird. Wirklich wichtig ist, dass es beiden gut geht und man nicht zum Äußersten gehen muss. Zwischen den Bedürfnissen beider Parteien muss ein Kompromiss erfolgen. So sehe ich das zumindest. Für mich wäre es eine Selbstaufgabe gewesen, nicht auch meinen eigenen Bedürfnissen nachzukommen. Dann hätte ich weiterhin wie ein Mama-Roboter gehandelt. Das wollte ich nicht. Ich wollte mehr sein, als die Frau, die über Windeln und Kinderkrankheiten quatscht. Die keine Zeit für Freunde hat, weil sie jetzt Kinder hat. Ich wollte weiterhin Bestandteil der Gesellschaft bleiben und mich nicht hinter der Mutterwand verstecken.

Als ich die Erwartungen an mich selbst fallen ließ, wurde alles besser

Anfangs habe ich mich für die Bedürfnisse versteckt und schlecht gefühlt. Die Depressionen haben ihr übriges getan. Jetzt weiß ich: Es ist vollkommen in Ordnung als Mutter Bedürfnisse zu haben und auch eine Mutter darf ihre Bedürfnisse erfüllt sehen. Warum? Weil es sehr viel besser mit Claire wurde, als ich anfing egoistischer zu sein. Claire ist mittlerweile wunderbar pflegeleicht geworden. Natürlich hat sie noch Trotzphasen, aber das klappt auch schon viel besser. Seit ich mir eingestanden habe, dass ich bin, wie ich bin, und mich nicht verstelle – nur, weil ich denke, dass wird von mir erwartet – läuft es besser. Ich bin entspannter. Claire ist entspannter. Wenn wir unterwegs sind, ist sie DAS Vorzeigekind. Alle Welt verliebt sich in sie. Macht uns Komplimente, wie toll sie ist. Und das ist sie auch. Sie ist wahnsinnig toll geworden. Auch ohne ATP, aber dennoch viel Liebe <3 Ich denke, dass Claire dadurch glücklicher geworden ist, indem ich wieder glücklicher war. Aus dem Grund habe ich mich auch sehr bei dem Zitat aufgeregt, welches ich in Twitter gelesen habe:

„Wieso werden Mamas/ Eltern-Schlaf-Bedürfnisse über die Kinder gestellt? Werde ich nie verstehen. Sie machen das nicht um uns zu ärgern.“

Mama ist eben auch nur ein Mensch. Mama ist keine Maschine. Wir sind menschlich, weil wir einen Willen haben. Die Grenzen haben. Körperlich und seelische. Manche überschreiten die Grenzen und bleiben als Wrack zurück. So wollte ich nicht enden. Sie versteht nicht, wieso eine Mama auch mal wieder durchschlafen will? Ich kann es wiederrum nicht verstehen, wenn man sein altes Ich komplett selbst aufgibt und mit dem Mutterdasein zu einem anderen Menschen wird. Ich habe mir immer mein Ich im Herzen bewahrt und bin stolz darauf. Claire erhält Liebe, Zuneigung und den größten Teil meiner Energie. Aber einen kleinen Teil, den bewahre ich für mich. Ich war ja nicht immer Mama. Ich war diese andere Frau. Mit Träumen und Wünschen. Und die existieren noch. Ich bin nicht willens sie aufzugeben…

Blogparade „Eltern in der (Auf)-Opferungsrolle – elterliche Grenzen vs. kindliche Bedürfnisbefriedigung“

Der Beitrag hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Aus dieser heraus ist die Blogparade „Eltern in der (Auf)-Opferungsrolle – elterliche Grenzen vs. kindliche Bedürfnisbefriedigung“. Tatsächlich verstehe ich nicht, wieso sich Eltern komplett aufopfern und es plötzlich als ihren Lebenssinn ansehen, ihr Leben komplett aufzugeben und nach den Bedürfnissen des Kindes zu leben. So liest es sich zumindest immer wieder für mich. Ja sicher, einige Grundbedürfnisse müssen erfüllt werden. Aber sich komplett danach richten? Nein, ich verstehe es tatsächlich nicht. Es passt nicht in meine Welt, meine Art zu leben. Aber sie sollen eben tun, was sie für richtig halten, wenn sie mich mit meinem Leben in Ruhe lassen. Allerdings fühlte ich mich irgendwie verurteilt.
Die liebe Frau Chamilion hat hierzu eine schöne Antwort parat gehabt:

„Es gibt Eltern, die geben alles und das Kind ist nicht zufrieden! Die körperliche und seelische Belastung in solch einem Zustand, der meist Monate oder Jahre lang anhält, ist enorm. Wann ist die Grenze elterlicher Belastungen erreicht? Was muss passieren, damit auch Mutter oder Vater wieder im Fokus der Fürsorge stehen?“

So sehe ich das auch. Davon zu sprechen, dass man quasi als Eltern „versagt“ hat, weil man ein „High Need“-Kind hat… Das verstehe ich nicht. Wie kann man Eltern, die alles geben unterstellen, dass sie es falsch machen? Ohne die Situation zu kennen. Wohlgemerkt. Das klang sehr pauschal. Ich verstehe die Eltern mit der völligen Selbstaufgabe nicht, lasse sie aber gewähren. So lange sie mich nicht angreifen oder mich überzeugen wollen es ihnen gleich zu tun. Was ich aber nicht leiden kann ist, wenn es heißt, dass ich an meinen Problemen mit dem Kind quasi „selber Schuld“ bin, weil es nicht alles bekommt was es braucht. Meinem Kind bzw. uns geht es ja auch erst besser, seit ich nicht mehr alles mache, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Sie hat Grenzen kennengelernt. Das hat sie aber nicht kaputt gemacht. Erst heute habe ich sie wieder 30 Minuten vor den Kinderkanal gesetzt, um mit ihrem Papa noch im Bett… kuscheln zu können 😉 Und wisst ihr was? Ich fühle mich absolut nicht schlecht dabei. Denn anschließend hatte ich Energie und Power und meine restliche Zeit galt ganz ihr.