Unser Famlilienleben ist sehr turbulent geworden, seit Marie da ist. Sie hat alles mächtig duchreinandergewirbelt: Unsere Abläufe, unsere Zeiteinteilung… und natürlich die Beziehung zu Claire. Plötzlich muss sich sich unsere Liebe „teilen. Sie war überfordert, wir waren überfordert. Wir hatten einen Melt Down. Es war zeitweise so schlimm, dass ich nicht mehr weiter wusste und am liebsten die Koffer gepackt hätte. Die Zeit war hart wir mussten alle unseren Platz in der Familie wieder finden.
Mein rechter, rechter Platz ist frei…
Große Schwester? Geliebte Tochter? Beides? Nichts? Ich glaube, Claire hat sehr stark damit gehadert, woran sie nun ist. Wo ihr Platz ist. Dabei kam es mitunter vor, dass sie sich eben auch mal anders verhalten hat, als ich mir gewünscht hätte. Und ich fing an zu zweifeln. An uns. An unserem Weg. ist Attachement Parenting wirklich was für uns? Die Ehe zu meinem Mann geriet is Wanken. Auch heute streiten wir ab und ab über Erziehung. Wir haben Hilfe gesucht: Im FamilyLab, bei einer bindungsorientierten Familienberatung. Und in Büchern.
Dabei hat mir „So viel Freude, so viel Wut“ von Nora Imlau die Augen und das Herz geöffnet. Mein Verständnis wuchs an. Ich habe Claires Emotionen nicht mehr als meinen Feind betrachtet, sondern ihre Stärke darin gesehen. Die Gefühlsstärke. Die Kräfte kamen zurück. Und damit auch die Möglichkeit Claire so zu sehen wie sie ist: Perfekt. Sie verhält sich ihrem Temperament entsprechend normal. Sie ist kein gefürchteter Tyrann oder ein „Arschlochkind“. Sie ist wie sie ist und sie ist völlig gut so.
Wie jeder Mensch hat sie schlechte Tage. Wie wir alle, hat sie Mal keinen Bock. Wie wir alle schaltet sie auch mal auf Durchzug. Und das ist ok. Es ist menschlich. Denn zwischen all den negativen Emotionsausbrüchen, da ist sie ein ganz wundervolles, gutherziges, offenes Mädchen. Das konnte ich einige Zeit nicht mehr sehen, aber mittlerweile klappt es besser. Und diese Situationen möchte ich nun für euch im Blog festhalten! Claire schreckt nämlich nicht vor Erwachsenen zurück und zeigt sich manchmal deutlich reifer und empathischer, als ihre Gegenüber.
Situation 1: Die strafende Mutter
Wir sind im Freibad und sitzen gemütlich am Babybecken. Ein fremdes Kind K bekommt von der Mutter das Verbot das Handtuch zu verlassen (Kind K hat wohl etwas von Claire genascht, was sie nicht sollte). Claire sagt frustriert: „Manche Mamas sind doch echt blöde!“ Das findet die Mama von Kind K nicht so toll. Sie spricht ein Spieleverbot mit Claire aus. K wird mittlerweile erlöst und kommt plötzlich zu mir. Sie fragt, ob ich mich neben ihre Mama setzen mag (wir sitzen auf der anderen Seite des Beckens). Hö?
Ich frage erstaunt warum, sie erzählt mir von dem Spieleverbot mit Claire. Ich sage ihr, dass ich mir dann nicht vorstellen kann, dass ihre Mama mich daneben haben möchte (außerdem, dass ich es sehr schade finde, wie es gelaufen ist und, dass Claire das sicherlich nicht wollte). K. geht zu ihrer Mutter, um sie zu fragen, ob ich daneben sitzen darf. Claire kommt indes vom Spielplatz zurück und erzählt mir, dass sie traurig ist.
Claire entschuldigt sich, Mutter bleibt stur
Natürlich erkläre ich ihr, dass es nicht Ok war, die Mutter blöd zu nennen, da es eine Beleidigung ist. Über ihre Tochter Rache zu nehmen, sei aber auch nicht Ok, und dass ich es schade finde, wie sie reagiert hat. Claire geht plötzlich zur Mutter und möchte sich entschuldigen. Sie kommt zurück:
„Ich hab mich entschuldigt, aber es ist ihr egal!“
Erstmal muss ich innerlich schmunzeln. Nicht wegen Claire! Aber wegen der Mutter, die ich auf knapp 28 Jahre schätze. Da entschuldigt sich eine Fünfjährige bei ihr, für ihr Fehlverhalten und sie ist so stur, dass sie ihr nicht vergeben kann und dem Kind sogar noch eines hereinwürgt. Wow. Da muss Claire sie ja richtig getriggert haben. Anders kann ich mir das nicht erklären…
Dein Verhalten verletzt mich!
Ich tröste Claire und erkläre, dass eine Entschuldigung nicht immer reicht. Manchmal werden Gefühle verletzt, manchmal seien Menschen aber auch einfach nur stur. Da müsse man versuchen drüber zu stehen und es gut sein lassen. Aber da macht Claire nicht mit. Sie zieht nochmal los, kommt freudestrahlend zurück:
„Ich hab ihr gesagt, dass mich ihr Verhalten verletzt hat. Sie hat gesagt, es hat sie auch verletzt, was ich gesagt habe. Jetzt darf ich aber wieder mit K spielen!“
Ich bin echt erstaunt, wie Claire reagiert hat. Sehr viel reifer, als die eingeschnappte Mutter – finde ich. Claires Reaktion kam natürlich nicht von ungefähr. Ich lese gerade „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn – Gelassen durch die Jahre 5 bis 10“ (Affiliate-Link zu Amazon*). Dort wurde in einem Kapitel eine ähnliche Situation beschrieben. Ein Kind versucht Kontakt zu anderen Kindern aufzunehmen, es gelingt aber nicht so gut. Die Mutter gibt ihrem Kind einen liebevollen Rat:
„Vielleicht gehst du mal zu ihnen hin und sagst ihnen, wie du dich fühlst. Also, du fängst den Satz nicht mit ‚Ihr seid gemein an!‘ an, sondern du sagst:’Ich bin enttäuscht/traurig, weil…‘ ich habe die Erfahrung gemacht, dass das hilft.“
Von wegen bindungsorientiert zieht nicht
Diese Situation fand ich richtig toll und habe die Strategie für Claire übernommen. Sie hatte ebenfalls Ärger mit einem anderen Kind. Ich hatte ihr geraten, ihre Gefühle zu offenbaren und sagte ihr, dass mir das auch schon geholfen hat. Und siehe da: Sie hat es übernommen und erfolgreich angewandt. Auch bei einem Streit mit ihrem Papa, hatte ich ihr den Rat nochmals erteilt. Und dann saßen sie beieinander und haben miteinander geredet. Der Zorn war verraucht. Diese Strategie ist so entwaffnend. Es gibt wohl nur wenige Menschen, die sich ihr entziehen können.
Dennoch war ich baff, dass Claire diese Strategie so schnell verinnerlicht hat und diesem Fall direkt selbst angewandt hat. Da soll mein Mann nochmal sagen, meine Erziehung trägt keine Früchte 😉 Generell finde ich es toll, wie mutig und selbstbewusst Claire auf Menschen zugeht. Diesen Mut hatte sie in einer anderen Situation bereits unter Beweis gestellt.
Situation 2: So geht man nicht mit Kindern um!
Claire hat ein ausgereiftes Gerechtigkeitsempfinden. Das lässt mich grinsen, denn sie erinnert mich stark damit an mich. Wenn ich das Gefühl habe, jemand wird ungerecht behandelt, werde ich rasend! In Noras Buch habe ich gelesen, dass das tatsächlich eine Eigenheit gefühlsstarker Menschen sein kann. Claire hat aber nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden, sondern auch den notwendigen Mut dieses aktiv umzusetzen. Mir fehlt das bedauerlicherweise oft, da mein Selbstwertgefühl im Laufe der Jahre so sehr zerstört worden ist, dass ich noch immer versuche auf den Ruinen aufzubauen…
Wir waren ebenfalls im Freibad an unserem Stammplatz und picknicken gerade. Dabei beobachten wir das wilde Treiben um uns herum. Wir sehen eine Mutter, wie mit ihrem Kind im Wasser spielt. Sie bespritzen sich gegenseitig. Dem Kind wird es zu viel, wehrt sich. Erst mit Stop-Rufen. Aber die Mama ignoriert das Kind. Das Kind greift zu und erwischt den Bikini-Träger der Mutter. Die Mama schimpft das Kind, dass es nicht an den Bikini gehen soll. Das Kind versucht sich zu erklären.
Nein, es war nicht schlimm!
Kind: „Ich fand das aber schlimm“. Mutter:“Nein, es war nicht schlimm!!“ Das geht gar nicht. Wenn das Kind das in dem Moment als schlimm empfunden hat und nicht mehr bespritzt werden wollte, dann ist es so. Die Mutter hat kein Recht dem Kind Gefühle abzusprechen. Wirklich dreist fand ich dann, dass sie ihren Sohn dazu gezwungen hat, sich für sein (!) Fehlverhalten zu entschuldigen.
Ich war drauf und dran aufzustehen, um das Kind in den Schutz zu nehmen. Allerdings mische ich mich nicht in die Erziehung anderer Menschen ein, egal, für wie falsch ich sie persönlich halte. Das wird ohnehin nicht gern gesehen und am Ende hätte das Kind vielleicht noch wegen mir schlimmere Strafen erhalten…
Claire wird von ihren Gefühlen übermannt und reagiert prompt
Mich hat die Situation so beschäftigt, dass ich sie twittern wollte. In dieser Zeit stand Claire plötzlich auf und geht zu der Mutter. Sie stemmt die Arme in die Seiten und sagt, mit fester Stimme: „So geht man nicht mit Kindern um!“ Ich sitze auf meinem Handtuch und muss mir ein lautes Lachen verkneifen. Geil! Ich wollte es tun und hadere damit, und meine Maus marschiert los und erledigt das einfach so. Ich war stolz wie Bolle!
Im Freibad: Mama spielt mit Kind im Wasser. Dem Kind wird es zu viel, wehrt sich. Die Mama schimpft das Kind. Kind:“ich fand das aber schlimm“ Mutter:“nein, es war nicht schlimm!!“ Bitte sprecht euren Kindern nicht ihre Gefühle ab und schaut hinter ihre Handlungen
— Die Rabenmutti (@DieRabenmutti) 27. Juli 2018
Bleib wie du bist, Prinzessin
Natürlich habe ich Claire anschließend zu mir gerufen und habe ihr gesagt, dass wir uns besser nicht in die Erziehung anderer Menschen einmischen – es sei denn, sie wenden Gewalt an. Dennoch habe ich ihr meinen Stolz vermittelt und ihr auch gesagt, dass ich es mutig und toll fand, dass sie das Kind beschützen wollte. Meine Gefühle hierzu sind immernoch ambivalent.
Ich lese zwar einerseits, dass man Kinder schützen sollte, aber andererseits empfunden es Eltern auch oft als übergriffig, wen man als Externer seinen Senf dazu gibt… Wo zieht man da die Grenze? Erst bei körperlicher Gewalt? Oder schreiten wir auch bei seelischer Gewalt ein?
Claires moralischer Kompass scheint da genau richtig zu gehen – sie war halt noch nicht auf Twitter unterwegs und hat sich verunsichern lassen 😉 Ich hoffe sehr, dass sie sich ihren Mut, ihr Selbstwertgefühl und ihren moralischen Kompass weiterhin bewahren kann und ich nicht zu viele Fehler machen werde, um sie von diesem bewundernswerten Kurs abzubringen. Von ihr kann ich noch Einiges lernen…
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