Immer wieder folge ich Diskussionen in denen Mütter sich mit der Frage beschäftigen, ob sie alle Kinder gleich lieben würden. Für mich war die Antwort direkt präsent: Nein. Und das ist auch total normal.
Was ist schon normal
Erstmal sollten wir klären, was „gleich“ eigentlich bedeuten soll. Gleich intensiv, auf dem gleichen Weg? Natürlich liebe ich meine beiden Mädchen. Doch wie jeder Mensch haben sie beide eine andere Geschichte. Uns verbinden wiederum andere Geschichten. Damit die Liebe völlig gleich sein kann, müssten aber alle Begebenheiten gleich sein. Das waren sie nicht und werden es nie sein. So kann ich meine Kinder gar nicht gleich lieben.
Die Geschichte mit Claire ist wild, ein ewiges Auf und Ab, ein Zusammenkrachen der Emotionen. Der Beginn war düster, sie war eine Überraschung und tatsächlich waren wir unsicher, ob wir bereit für ein Baby sind. In der Schwangerschaft war ich geplagt von Zukunftsängsten und Selbstzweifel: Werde ich alles schaffen? Werde ich in Altersarmut versinken? Finde ich so jemals einen Job?!
Dunkle Wolken verhüllen meine Emotionen
Die Geburt kam einem Höllentrip gleich, das erste Jahr wurde ich von Depressionen geplagt. Erst Schritt für Schritt wichen die negativen Emotionen den schönen Gefühlen und der innigen Liebe. Bei Claire zeigte sich meine Liebe dadurch, dass ich trotz Verzweiflung und Schlaflosigkeit nicht geferbert habe – trotz Empfehlung des Kinderarztes. Das allseits verurteilte „Verwöhnen“ gab es für mich nicht (mit Liebe kann man niemanden verwöhnen) und entgegen meiner anfänglichen Skepsis habe ich das Familienbett für uns entdeckt.
Aus Liebe habe ich angefangen mich über den Tellerrand hinaus zu wagen, umzudenken und mich zu ändern, um ihr eine bessere Mutter zu werden.
Alles nur, weil ich dich liebe…
Aus Liebe habe ich viele gute Entscheidungen getroffen, die uns gut taten. Dennoch habe ich die Liebe nur selten wirklich „gespürt“. Es war für mich irgendwie immer selbstverständlich, mich zu informieren und das Beste zu geben. Das war unsere Art der Liebe. Diese haben wir uns bis heute bewahrt. Selbst jetzt bringst du mich dazu, immer wieder nachzudenken und neue Wege auszuprobieren. Aus Liebe gehe ich diese Wege, auch, wenn sie manchmal verdammt schwierig für mich sind…
Gerade jetzt setze ich mich mit gefühlsstarken Kindern auseinander, spüre dabei, wie meine eigene Gefühlsstärke hochkommt und wie mein inneres Kind nach mir ruft. Es ruft so laut und heftig, weil es all die Jahre eingesperrt war. Die Schreie treffen mich mit einer solche Wucht, dass es mir oft den Boden unter den Füßen wegreißt. Es schlägt so hart zu, dass ich aufgeben und nicht mehr aufstehen will. Diese Schläge sind besonders heftig, wenn ich mich in ihr Wiedererkenne und alte Verhaltensmuster meiner Eltern nacheifere. Diese Muster will ich durchbrechen.
Ich möchte mich für dich ändern, Claire. Mein inneres Kind besänftigen. Aus Liebe. Obwohl es verdammt weh tut, damit konfrontiert zu werden.
Liebe bis ins Herz
Die Liebe zu Marie dagegen ist leicht, beschwingt, fröhlich und aus tiefstem Herzen heraus. Ich kann sie mit jedem Atemzug spüren. Ich FÜHLE sie mit jedem Herzschlag. Es ist die Art von Liebe, auf die ich immer neidisch war. Die Art von Liebe, bei der Mütter sagen, dass sie niemals von ihren Babys getrennt sein möchten. Das Baby „nervt“ niemals und eigentlich kann man sich auch gar nicht vorstellen, das kleine Geschöpf nun einen Augenblick allein zu lassen. Seit Marie da ist, sehe ich die Welt durch eine rosa Plüschwolke mit viel Zuckerwattenkonfekt und Schokodrops. Anders kann ich dieses Gefühl von „High sein“ nicht beschreiben.
Marie ist ein wahr gewordener Traum: Eine Schwangerschaft ohne Probleme, eine magische Geburt, die alte Wunden verheilen ließ. Ich spüre den Flausch und die Liebe, von der ich zuvor dachte, dass sie von geistig umnächtigten Müttern eingebildet sei.
Die Art von Liebe, die so herrlich ist, so hell und strahlend, dass ich glaubte, sie ist erstunken und erlogen. Zu schön um wahr zu sein. Und jetzt bin ich mitten drin.
Es ist unfair, dass ich diese Art von Liebe bei Marie spüre, bei Claire aber durch die Depressionen gehindert wurde. Sie legten sich wie dunkle Wolken über mich und ließen kaum Sonne zu. Umso heller lässt nun Marie mein Herz erstrahlen. Für sie muss ich mich nicht (mehr?) ändern. Für sie, bin ich genau so gut, wie ich bin. Ich muss nicht umdenken, mich nicht informieren. Vieles Wissen habe ich mir bereits angeeignet, vieles ist gar nicht notwendig. Marie ist ein klassisches „Anfängerbaby“ ohne viel Bedürfnisse außer Kuscheln und Nähe.
Alle Kinder gleich lieben, ist kein Muss
Meine beiden Mädchen sind so verschieden. Die Art sie zu lieben ist total verschieden. Die Intensität ist bei den Mädchen auch irgendwie eine andere, weil die Art es so vorgibt. Weil es einfach gar nicht vergleichbar ist. Und dennoch ist das genau richtig so. Beide Mädchen werden auf die Art geliebt, die sie brauchen, um sicher und geboren groß zu werden. Da bin ich mir sicher.
Habe ich ein Lieblingskind? Bestimmt. Aber das ändert sich täglich, manchmal von Sekunde zu Sekunde. Da lächelt mich Marie besonders süß an und in meinem Herzen flackert die Flamme kurz ein wenig heller. Oder Claire drückt ihr Köpfchen an mich und nuschelt mir „meine liebste Mami“ in den Bauch. Da spüre ich, wie meine Zuneigung in der Brust anschwillt und ich sie in dieser Sekunde vielleicht ein klein bisschen lieber habe. Und das ist auch voll ok so. Für mich.
[Anmerkung: Dieser Artikel ist zuerst bei Eltern.de erschienen]
Hallo, gerade las ich diesen Artikel, vielen Dank dafür! Ich musste weinen, bei mir ist es ganz genauso! Meine Gefühle und alles, was du beschreibst war bei mir genauso. Das ist ja erstaunlich. Und gibt Kraft! Danke! Grüße, Lea
<3
Vielen Dank für den ehrlichen Artikel, er hat mich sehr berührt. Genau so geht es mir mit meinen Kindern. Die postnatale Depression beim Großen, die Euphorie bei der Kleinen. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen deswegen. Es tut gut zu lesen, dass es nicht nur mir so geht und dass ich die emotionale Unterschiedlichkeit auch aus einer anderen Perspektive sehen kann.