Abtreibung, da ungewollt schwanger

Liebe Rabenmutti-Leser, seit Kurzem kommen immer wieder Leser des Blogs zu Wort, um sich Gehör zu verschaffen und um ihre Sicht der Welt zu zeigen. Dabei gibt es nicht nur tolle Reiseberichte oder leckere Rezepte, nein, es gibt auch Themen, die im Herzen berühren, Angst machen, oder gar die Zornesröte ins Gesicht treiben. So ein Thema haben wir auch heute auf dem Blog: Abtreibung.

Erstens kommt es anders…

Für viele ist Abtreibung ein rotes Tuch, ein Tabu-Thema. Ich selbst nehme (mittlerweile) eine eher negative Position zur Abtreibung ein, akzeptiere aber durchaus, dass sie in manchen Fällen angebracht ist (bei einer Vergewaltigung beispielsweise). Früher, als Schulmädel, war ich nicht so. Da habe ich noch leichtfertig gesagt: „Wenn ich mal ungewollt schwanger werde, treibe ich ab. Das geht schon.“ Tja und dann wurde ich überraschenderweise schwanger und alles kam ganz anders…

Ich will euch nicht anlügen. Ich hatte damals kurz darüber – leichtsinnig und naiv wie ich war – nachgedacht, mein Baby abzutreiben. Ich war nicht bereit, hatte Angst, war panisch: Kurzschlussreaktion. Die Beziehung war noch total frisch, ich war mitten im Bachelor. Mein Leben geriet vollkommen aus den Fugen (dabei hatte ich mich doch erst wieder gefangen). Als ich aber beim Ultraschalltermin das kleine Herzchen habe schlagen sehen, war der innerliche Entschluss längst gefasst: Dieses Kind wird leben. Es lebt bereits in mir und es wird wachsen und gedeihen. Das Herz wusste Bescheid. In meinem panischen Kopf kam das noch nicht an, ich hatte dieses „Beratungsgespräch“ zusammen mit meinem Partner gemacht, um „diesen Schein“ zu bekommen. Der Beratungsschein, der eine Abtreibung möglich machen würde. Er landete im Müll. Mutig habe ich meinem Partner den Entschluss mitgeteilt, dass ich das Kind austrage – ob mit oder ohne ihn.

Manchmal verirrt man sich auf dem Weg

Überraschenderweise stand er hinter mir. Nahm sofort die Vaterrolle ein und stand hinter dem Entschluss. Ich dachte er verlässt mich. Darüber sind wir heute seeeehr glücklich. Wir wollen nicht darüber nachdenken, was passiert wäre, wenn wir uns anders entschieden hätten. Unsere Zauberbohne hat sich in unser Leben geschlichen und bereichert. Ich bin so froh, dass ich damals auf mein Herz gehört habe. Die Ängste einfach ignoriert habe. Leider gelingt das nicht allen Menschen. Manche stehen an der gleiche Abzweigung und entscheiden sich für den „anderen Weg“. Tina ist einer dieser Menschen. Tina hat sich gegen das Leben und für eine Abtreibung entschieden. Warum und wie sie ihre Entscheidung heute einschätzt, erzählt sie euch in diesem Blogbeitrag…

Tina: „Ich erinnere mich, wie heute an den Mittag, als ich mit meiner Mitschülerin auf dem kurvigen Heimweg im Bus nach Hause saß. Wir kannten uns zwar zu dem Zeitpunkt bereits seit knapp 2 Jahren, aber erst in dem Frühjahr hatten wir uns wirklich angefreundet. Wir hatten über das Leben und die Vorstellungen die wir als 17/19-jährige hatten diskutiert. Sie schwor nie zu heiraten ( „höchstens wenn es steuerlich vorteilhaft wäre“ ) und wenn sie schwanger werden würde, würde sie abtreiben („was will ICH mit einem Kind?“).

Abtreiben? Ich? Niemals!

Ich war Romantikerin und träumte eine Braut in weiß zu sein und von meinem Märchenprinzen/Adonis auf Händen getragen zu werden. Und sollte ich zu früh schwanger werden, würde ich das Kind in eine Babyklappe geben, aber niemals, nie, nicht abtreiben. Es sind seither nun gut 10 Jahre vergangen. Sie wird zum zweiten Mal Mutter und ist seit ein paar Jahren verheiratet. Ich bin zwar mit meinem Adonis zusammen, aber … Aber ich habe mittlerweile einmal abgetrieben.

Es ist bald zwei Jahre her, dass ich meinen Freund kennengelernt habe. Es war im Sommer und im frühen Herbst beschlossen wir, eine „echte Beziehung“ aufzubauen. Seit wir uns kannten, haben wir (mehr oder minder ernsthaft) von heiraten, gemeinsamer Zukunft, Plänen, Träumen gesprochen. Auch von Kindern. Ein paar Wochen, nachdem wir zusammen waren, merkte ich, dass ich überfällig war. Panisch erzählte ich es ihm. Er versuchte mich zu beruhigen und zu beschwichtigen. „Mach erst mal einen Test. Alles wird gut.“ Ich machte ihn. Und er war positiv. Eine Welt brach für mich zusammen. Ich war mit allem am Anfang. Meine Berufsplanung, meine Zukunft, meine Beziehung – über nichts war ich mir klar.

Der Partner zog sich zurück

Mein Freund reagierte scheuklappenartig. Er war für eine Abtreibung, argumentierte dafür, ließ aber mir die Wahl. Ich machte einen Termin bei meiner Frauenärztin und bestand bei meinem Freund darauf, dass er auch mitkommt. Für ihn selbstverständlich. In den Tagen dazwischen, wollte ich einfach nur aufwachen und wissen, dass alles nur ein Alptraum wäre. Dieser Umstand, Angst und die Panik haben mich zu meiner Entscheidung gedrängt: Abtreibung.

Ich konnte dieses Baby nicht bekommen, nicht jetzt. Nicht so. Und doch nicht jetzt. Auf gar keinen Fall jetzt. Etwas Anderes konnte ich nicht denken.

Ich sprach nicht wirklich mit meinem Freund. Auch nicht mit Freundinnen. Nicht mit meiner Mutter. Nicht mit meiner Schwester. Mit niemanden. Ich schloss mich in mich ein. Bei der Gynäkologin war mein Freund fahrig. Mit der ewigen Wartezeit bei ihr kam er nicht gut klar. Er wollte nicht da sein, das sagte seine Körperhaltung. Der Ärztin gab ich direkt zu verstehen, dass wir das Kind nicht wollten. Als ich das sagte, verkrampfte sich mein Freund. Sie untersuchte mich und sagte mir, was ich tun musste dafür. Ich musste wieder zu ihr kommen, weil der Fötus noch zu klein war, um ihn im Ultraschall zu sehen. Das musste sein, damit sie mich überweisen konnte – an den Arzt, der die OP machen sollte. Der müsste mich auch untersuchen und aufklären. Ich müsste zur psychologischen Beratung. Und zur Krankenkasse, um den Eingriff bezahlen zu können.

Allein, allein… Allein, allein

Mein Freund war distanziert. Kühl. Ich entschied mich ihn bei den weiteren Terminen nicht mitzunehmen. Ich funktionierte in den folgenden Tagen und Wochen einfach nur. Ich ging zur Uni, zur Arbeit. War bei meinem Freund. Aber ich war hohl. Die Übelkeit setzte ein. Mir ging es elend. Von allem wurde mir schlecht. Parfüm, gebratenes Fleisch, Salat, kochendes Wasser. Alles verursachte mir Übelkeit. Es lähmte mich regelrecht. Ich trank. Viel. An kaum einem Abend ging ich nüchtern ins Bett. Beim zweiten Ultraschall ließ ich mir einen Abzug von meinem … Von dem Fötus machen.

Bis heute steckt das Bild hinter einem Familienfoto versteckt. „Niemals vergessen“ habe ich auf die Rückseite geschrieben.

Zwei Tage darauf war Halloween. Ich musste arbeiten und so tun als wäre nichts. Den ganzen Abend über war mir speiübel. Morgens um 4 brach ich beim Stühle schleppen fast zusammen. Mein Oberkellner, der mich eh nie leiden konnte, triezte mich und trieb mich an schneller zu machen. Ich wollte zerreißen. Ich wollte einfach nicht mehr sein. Ich wollte ins nichts verschwinden. Einfach das alles nicht mehr ertragen. Der Termin rückte näher. Ich vertraute mich einer Kollegin an, sagte aber es wäre eine Eileiterschwangerschaft. Ich konnte den Druck nicht ertragen. Ich musste etwas abgeben. An jemanden der nicht urteilt. Der nicht beteiligt ist. Etwas von der Wahrheit aussprechen.

Ja, ich bin schwanger. Aber nein, ich werde nicht Mutter.

Der Tag der Abtreibung

Ich musste es aussprechen und ich wollte einfach nur etwas Mitgefühl. Um den Schmerz, der sich anstaute los zu werden. Am 10.11.15 fuhr mein Freund mit mir zum Arzt. Er mochte es noch nie in der Öffentlichkeit meine Hand zu nehmen. An dem Morgen, im Bus, nahm er sie immer wieder. Kurz. Nur einen Moment. Er war fahrig. Nachdem ich aus dem Wartezimmer herausgeführt wurde, ging ich erst mal allein. Er sollte erst geholt werden, wenn es vorbei war.

Ich wurde in einen langen Raum gebracht, wo 7 oder 8 Kabinen nur mit Vorhängen abgeteilt waren- wie Umkleidekabinen bei Kik. Ich zog mich um und legte mich auf die Liege, die in meiner Kabine stand. Nach 3 Minuten bat ich eine Arzthelferin meinen Freund zu mir zu bringen. Ich konnte das Warten in diesem billigen Verschlag nicht allein überstehen. Er kam setzte sich zu mir und nahm meine Hand. Mir rollten hin und wieder Tränen über die Wangen. Er wischte sie weg und flüsterte mir krampfhaft beruhigend und aufbauend zu. Irgendwann holten sie mich. Ich konnte schon die ein oder andere Frau in einem der anderen Kabinen schluchzen hören. Sie schoben mich in einen OP, spritzen mir das Anästhetikum und erklärten mir nochmal den Eingriff. Mitten im Satz vom Arzt wurde ich wach. Ich lag in der Kik-Kabine und wusste es war vorbei.

Die Tränen liefen mir übers Gesicht. Mein Freund versuchte mich zu beruhigen. Ich wollte schreien. Und weinen. Und nicht mehr sein. Ich hatte wirklich mein Baby weggeworfen. Ich hatte es getan. Ich war ein Monster. Ein Feigling. Ein Ding. Kein Etwas. Ich war Abschaum. Müll. Verachtung. Mein Freund flüsterte auf mich ein. Immer wieder sagte er „nicht hier“.

Mein Freund ließ mich allein mit meiner Trauer

Sollte ich ihn etwa nicht in Verlegenheit bringen? Er flüsterte immer weiter auf mich ein, bis ich mich im Griff hatte. Nach einer Weile wurden mir Medikamente gebracht und ich durfte nach Hause. Als erstes kam mein Hunger wieder. Mein Freund stütze mich, holte mir ein Käsebrötchen und brachte mich zum Bus zurück. Ich wollte kein Taxi. Er hielt mich im Arm. Während ich aß und wir warteten. Er setzte mich in den Bus und legte wieder seinen Arm um mich. Es ging mir besser, im Sinne von ich hatte mich wieder vollkommen in der Gewalt. Mein Freund dachte wohl, dass ich in Ordnung wäre. Er stieg eine Station früher aus, um zu einem wichtigen Seminar zu gehen.

Erst sehr viel später wurde mir klar, dass er, auch wenn er es nach Außen befürwortet hatte, nicht so nüchtern dem ganzen gegenüberstand, wie er tat. In dem Moment betrachtete ich es als Verrat. Ich legte mich zu Hause ins Bett und weinte bis er, nach 4 Stunden, wieder heimkam. Ich tat als wäre nichts. Am 11.11.2015 stand ich um 12 Uhr auf, duschte, schminkte und kostümierte mich, um zur Arbeit zu gehen. Ich riss meine Schicht irgendwie runter. War eigentlich gar nicht anwesend. War vollkommen betrunken um 1 Uhr nachts und ging weinend nach Hause.

Die nüchterne Erkenntnis

3 Tage war ich nur zu Hause und weinte fast nur. Mein Freund konnte damit nicht umgehen, weil er mich mit nichts trösten konnte. Er konnte so oft sagen, er habe mich überredet. Ich wusste es besser und hasste mich dafür. Und auf ihn war ich wütend, weil er nicht einfach still war und mich nicht einfach nur in den Arm nahm. Immer wieder sah ich in den Folgemonaten Schwangere… noch später Babys… Kleinkinder… und immer wieder traf es mich. Es trat auf mich ein und ich lag im Bett und verfluchte mich, dass ich mein Baby aufgegeben hatte.

Mein Freund konnte noch so oft rein medizinisch sagen „es war nur ein Zellhaufen“; es war mein 36 Tage altes Baby. Und ich hatte es umgebracht.

Eine erneute Schwangerschaft?

Ein gutes Jahr später hatten mein Freund und ich ein gerissenes Kondom. Am 14 Tag meines Zykluses. Die Pille danach konnte nur wirken, wenn ich sie vor dem Eisprung nahm. Der Apotheker wollte mir deswegen keine geben. Wäre ja eh unnötig. Ich musste zur Arbeit und hatte keine Zeit zu einer anderen Apotheke zu gehen. Erst am späten Abend des 15ten Tag des Zykluses kam ich zu einer anderen Apotheke. Mein Freund und ich gingen davon aus, dass ich zu 70 % oder so schwanger wäre.

Wir gingen in den Park und sprachen darüber. Wir begannen zu träumen. Wir grübelte nach Namen. Überlegten uns, wie wir es finanzieren und er trotzdem weiter studieren kann. Es änderte alles. Und als der Test negativ war, waren wir beide ein wenig enttäuscht. Ich kann nicht genau erklären warum, aber diese 2 Wochen, in denen ich nicht wusste, ob ich jetzt wieder schwanger war, ließen die tiefsten Wunden, die die Abtreibung bei mir hinterließ, langsam heilen.

Noch heute und auch beim Schreiben dieses Textes, muss ich weinen, wenn ich an mein Baby denke. Aber ich habe begonnen, mir zu verzeihen. Ich werde es nie ganz. Niemals. Aber ich kann langsam damit leben.

Ich habe diesen Text geschrieben, um anderen in ähnlicher Situation zu helfen. Ich sage nicht „tu es auf keinen Fall“. Ich sage nur, denk gut darüber nach. Du musst den Rest deines Lebens damit klarkommen. Ich lebe damit seit knapp anderthalb Jahren. Und ich habe deswegen schon einige lange und schlaflose Nächte gehabt. Ich bereue es zutiefst. Ich wünschte ich hätte es nicht getan. Aber ich kann mittlerweile die Tatsache, dass ich es getan habe, akzeptieren. Miss T.“

Liebe Tina, habe vielen Dank für deinen aufrichtigen und mutigen Text. Nicht immer sind die Entscheidungen, die wir treffen, richtig. Nicht immer sind sie für andere nachvollziehbar.  Es ist schade, aber wertvoll, dass diese Entscheidung dich nun dein Leben lang begleiten wird. Dieses Kind kann man nicht ersetzen. Es war ein individuelles Leben, eine individuelle Geschichte. Sicherlich wird dir nun immer ein Stück im Leben fehlen. Ein Puzzleteil, um dein Leben komplett zu machen. Ich wünsche dir viel Kraft damit klar zu kommen – vor allem dann, wenn du zum ersten Mal in die Augen deines Babys sehen wirst. Dies ist der Augenblick, in denen die Erinnerungen schlagartig wiederkehren können. Lass dich davon nicht niederreißen. Mit der Trauer bist du nun sicherlich genug gestraft. Es wird das Baby niemals zurückholen, dich aber vor weiteren schmerzhaften Entscheidungen in dieser Richtung bewahren…

Ich finde es übrigens immer wieder schade, dass Frauen die Entscheidung treffen, weil sie Zukunftsängste haben. Gerade, weil ich die gleichen Ängste hatte und noch habe. Das ist in meinen Augen ein klares Signal, dass die staatliche Hilfe noch nicht genug ist. Gerade für Alleinerziehende, wenn man sich gegen den Partner und für das Baby entscheiden muss. Ich würde mir wünschen, dass zumindest diese Zukunftsangst gar nicht erst aufkommt. Vielleicht gäbe es dann weit weniger Abbrüche…

Ihr seid schwanger und wisst nicht wohin?

Liebe LeserInnen, falls ihr auch mit Panik in den Augen vor der Frage „Behalten oder nicht?“ steht, dann lasst euch gut beraten! Es gibt viele Stellen, an die ihr euch wenden könnt – auch anonym! Eine Abtreibung muss nicht sein. Ihr könnt das Kind auch zur Adoption freigeben und damit dem Baby und kinderlosen Paaren ein wunderschönes Leben ermöglichen. Bitte wägt sorgfältig ab! Bitte, bitte, bitte! Liebe Grüße, Yasmin

Alternativ bietet die Hotline Findelbaby  rund um die Uhr Hilfe: 0800 4560789 (kostenfrei).

 

[Anmerkung der Redaktion] Liebe Leser, dieses Thema ist brisant. Es ist aber nicht dazu gedacht Hassparolen auf Frauen, die abtreiben möchten oder abgetrieben haben zu  speien. Kommentare mit Beleidigungen etc. werden NICHT freigeschaltet. Ihr dürfte gern eine kritische/negative Meinung dazu einnehmen – aber bitte ohne die Person anzugreifen. Habt lieben Dank!