In der letzten Zeit ist Inklusion ein großes Thema in den Medien. Begünstigt durch die Flüchtlinge, die nun in den Klassenzimmern einkehren, werden die Klagen seitens der Eltern immer größer: Kinder werden nicht mehr gefördert, manche Kinder gehen unter oder gar, dass Flüchtlinge sehr viel mehr Aufmerksamkeit erhalten würden. Es brodelt heftig in der Gerüchteküche. Was ist wahr? WO liegen die Probleme der heutigen Bildung eigentlich wirklich? Es gibt Studien, es gibt Aussagen der Politiker, es gibt Berichte in den Medien. Alle sagen das Gleiche aus und doch nicht: Irgendwer hat Schuld, nur weiß keiner wer genau. Ist es überhaupt eine Schuldfrage? Oder ein gescheitertes System? Der Wille war da, die Umsetzung eher mangelhaft?

Ich kenne gegensätzliche Darstellungen von den Medien und auch Eltern. Nur die Stimmen von Pädagogen höre ich eher selten. Aus diesem Grund habe ich eine Lehrerin gebeten etwas Licht ins Dunkeln zu bringen und einfach mal – nah am Schulalltag dran- von ihrer Einschätzung zu berichten. Eines zeigt sich klar: Sie ist genervt. Nicht von den Schülern, sondern den Eltern. Das hat mich erstaunt, immerhin wollen wir (Eltern) nur das beste für unsere Kids. Aber manchmal – und das weiß ich selber – schießen Eltern eben über das Ziel hinaus. Im folgenden Interview schildert uns Lehrerin Sabrina nun, wie sie die Situation persönlich einschätzt.

[Anmerkung] Das ist eine persönliche Einschätzung einer einzelnen Pädagogin. Hier werden keine Studien aufgegriffen, keine Quellen angeführt. Es geht um Eindrücke, Emotionen und Erkenntnisse einer einzelnen Person. Auch muss die dargestellte Sichtweise nicht die Meinung der Redaktion wiederspiegeln.

Die Kinder von heute…

Sabrina* ist knapp über 30, Lehrerin der Klassenstufen 5 bis 10 und schwingt als Klassenlehrerin aktuell in der siebten Klasse die Keule. Sie unterrichtet Englisch, Französisch und Informatik. Erfahrung hat sie mit Schülern der Haupt- und Realschule aus gut situierten wie auch schlechten Wohngegenden. Sie liebt ihren Beruf (wer das nicht glaubt, liest das Schlussplädoyer^^). Allerdings hat sie auch Einiges zu beklagen. Besonders zu Eltern und deren (Nicht-)Erziehung hat sie eine klare Meinung…

Yasmin: „Die Kinder von heute…“ wird an jeder Ecke geklagt. Sind sie wirklich so schlimm? Wo siehst du die Probleme mit den Kindern und Jugendlichen der aktuellen Generation?

Sabrina: Die Probleme der Kinder liegen im Elternhaus und in der Erziehung, die sie bekommen. Oder vielleicht viel mehr die Erziehung, die sie NICHT bekommen. Werte, die keine Werte mehr sind. Oder sogar: Normen und Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens an sich sind den Kindern nicht bekannt. Selbst wenn sie bekannt sind, werden sie nicht konsequent durchgesetzt.

Die Eltern wollen/tun es (erziehen) nicht und in der Schule können wir das nur begrenzt. Wenn Schule und Elternhaus nicht an einem Strang ziehen, geht vieles schief. Aktuellstes Zitat: „Ich mach doch schon so viel, aber was genau soll ich noch tun.“ – Nein, sie schickt ihren unfassbar problematischen Jungen einfach nur weg, weil er tatsächlich unerträglich ist. Herzensgut, dennoch unerträglich.

Außerdem, „alte Werte“ sind doch „völlig out“. Wir nähern uns wieder einer Gesellschaft: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ an. Kindern wird beigebracht, dass die Lehrer böse sind und Schule und Lernen der Feind sind.“

Sind die verkorksten Eltern Schuld?

Yasmin: Das ist eine klare Aussage. Es fehlt den Kindern also einfach an (der richtigen?) Erziehung, um den Schulalltag gemeinsam mit Lehrern und Eltern zu meistern… Spannender Gedanke. Zumal sich ja viele Eltern immer wieder gegen die Insitution Schule als Solches aussprechen. Ich frage mich, welche Art Mutter ich da wohl bin…Bin ich auch so verkorkst? Apropos: „Ein Familienhotel wäre einfach toll, wenn doch bloß die verkorksten Eltern nicht wären“. – Ein Zitat aus einem meiner letzten Artikel. Die „verkorksten Eltern“ kennst du dann wohl auch?

Sabrina: Klar! Von „verkorksten Eltern“ gibt es meiner Meinung nach zwei Arten: Diejenigen Eltern, die sich einfach GAR nicht kümmern. Hierbei verrottet das Kind quasi, hat Probleme, erfährt zu Hause aber keinerlei Unterstützung. Die Basis fehlt.

Und dann gibt es da noch die Eltern, die sich einfach „falsch“ kümmern. Sei es als „Helikopter“-Glucken oder gar als… Eltern die nicht in der Lage sind, ihr Kind als sich falsch verhaltendes Minimonster zu sehen und nicht als Heiligen. Diese wollen und tun alles zum Vorteil des Kindes – egal mit welchen Mitteln man es durchsetzt und ob es tatsächlich dem Kind überhaupt etwas bringt. Ein Beispiel: „Nein! Mein Kind geht aufs Gymnasium!“

Was an Eltern nervt

Yasmin: Ich sehe schon, wie die Herzen mancher Eltern wild zu pochen beginnen und wütend in die Tasten gehauen wird. Allerdings kann ich dich schon ein bisschen verstehen. Letztens habe ich erst gelesen, dass Eltern ihre Kinder noch bis ins Studium oder Bewerbungsgespräch begleiten und bemuttern. Ein Verhalten, welches ich persönlich auch nicht nachvollziehen kann. In der anderen Richtung finde ich aber auch Eltern befremdlich, die der Meinung sind, ihre Kinder machen alles richtig, wie sie es machen, weil sie individuelle Persönlichkeiten sind. Oft fehlt der gesunde Mittelweg. Ich bin ja kein Freund von Extremen – egal in welche Richtung. Aber sind wir „Eltern“ (ich bin sicher auch kein Lämmchen) echt so schlimm? Was nervt dich an Eltern ganz besonders?

Sabrina: Man könnte meinen, es seien die Jugendlichen, die besonders an der Substanz kratzen. Es sind aber ihre Eltern. Eltern sehen prinzipiell nichts ein. Eltern sind es, die dem Lehrer für alles Schuld zuweisen.

Dabei werden faule Schüler geschützt und es wird riesiges Theater gemacht, denn schließlich muss der Schüler heutzutage nichts mehr leisten. Mama/Papa geht an die richtige Stelle und macht Stunk.

Früher hatte der Lehrer Recht und die Kinder haben Ärger bekommen, heute ist es genau anders herum. Selbst wenn Eltern Dinge einsehen, passiert einfach nichts. Und selbst wenn man ihnen Dinge an die Hand gibt, auch dann passiert nichts. Wir leben schließlich in der Generation „Keine Erziehung ist die einzige BEZIEHUNG“…

Früher war alles besser, oder?

Yasmin: Diese Beziehung statt Erziehung-Problematik geistert mir auch immer wieder im Kopf herum. Als ich noch Schüler war, gab es das gar nicht (für mich). Besonders gut fand ich das zwar nicht herumkommandiert zu werden, aber ich habe das Gefühl, es gab deutlich mehr Struktur und Respekt gegenüber älteren Schülern beziehungsweise Menschen und natürlich Lehrern. Wenn du deine Schulzeit mit der jetzigen vergleichst, was hat sich verändert? Was ist vielleicht gleichgeblieben?

Sabrina: Schüler haben einfach null Bock und vor allem NULL RESPEKT – vor niemandem mehr.  Hauptsache ANTI alles. Leider wird die Schule stigmatisiert. Schule ist das traumatisierende Organ. – Heutzutage arbeitet man offen GEGEN Schule, Lehrer usw. Und ich muss sagen, eigentlich in jeder Schulart. Nur in manchen nicht ganz so gravierend, aber es kommt.

Dazu kommt, dass das Vorwissen und die Allgemeinbildung gleich NULL sind – woher soll das auch kommen? Schließlich sind die Schüler ja nur Kinder ihrer Eltern.

Außerdem sind Schüler nicht mehr bereit etwas zu leisten. Wir Lehrer gehen stark auf die Kids ein, passen uns den Wünschen, Bedürfnissen und auch der Welt der Kinder an, doch diese sind konstant weniger bereit etwas zu leisten. Und dabei geht es nicht um Noten. Es gibt keine Lernkultur mehr. Es gibt kein Wunsch mehr etwas für sein Geld zu tun. Hauptsache Kohle, Traumberuf: YouTuber.

Schüler sind einfach Anti-Alles

Yasmin: Wow, das erinnert mich jetzt an diesen bestimmten Song… Hauptsache Anti-Alles, richtig? Diese mangelnde Leistungsbereitschaft habe ich allerdings auch schon mitbekommen. Sobald Lehrende Leistung erwarten, gehen die Schüler – und sogar Studenten – auf die Barrikaden. Prüfungen sollen wiederholt werden. Und das nur, weil Transferwissen geleistet werden sollte, statt „reinschaufeln und auskotzen“. Früher hätten wir es nicht gewagt, den Lehrer anzuzweifeln oder gar mit Schulkommission und Co. zu drohen. Eine traurige Entwicklung… Gibt es denn etwas, was mit damals noch vergleichbar wäre?

Sabrina: Was ist gleichgeblieben? Vermutlich, dass man immer nicht über einen Kamm scheren sollte. Es gibt die motivierten Lehrer, die willigen Lehrer, diejenigen die sich kümmern, die die Kids aufs Leben vorbereiten wollen, so wie es auch die anderen gibt. Die Abgestumpften, die Verbrauchten, die Abgehärteten, diejenigen die gelernt haben, dass es einfach nichts mehr bringt und nur noch auf sich selbst achten sollte.

So wie es auch nach wie vor nette, respektvolle, höfliche, herzensgute, fleißige Kinder gibt, die gerne Erfolge sehen und gerne bereit sind etwas zu lernen.

Gleich geblieben ist vor allem aber eine Sache: Erwartungen. Erwartungen an Lehrer, die konstant steigen, genau wie Erwartungen an die Schülerschaft, der jedoch die Bereitschaft diese zu erfüllen im Laufe der Zeit abhandengekommen ist. Dennoch gibt es Dinge, die WIR früher NIE getan hätten oder uns gar nicht getraut hätten!! Weder als Lehrer, noch als Schüler.

Lehrer brauchen mehr Handlungsfreiheit

Yasmin: Die Arbeit des Pädagogen klingt nicht leicht. Ich glaube, dass die Erwartungen generell steigen, weil in den Medien immer „perfekte“ Bilder suggeriert werden. Perfekte Lehrer, perfekte Arbeitskräfte, perfekte Eltern. Ich glaube das ist der Knackpunkt. Man sollte nicht mehr nach Perfektionismus streben. Was denkst du, was dir die Arbeit erleichtern könnte?

Sabrina: Ganz klar: Lehrer sollten mehr „dürfen“. Die Schule funktioniert nicht allein als Wissensvermittler und mit Kuschelpädagogik schon dreimal nicht! Solange Kinder sehen, dass sie nichts müssen, denn die Eltern kommen ja in die Schule und richten es für sie, wird sich nichts ändern.

Aber das ist nicht alles! Abgesehen von der Eltern/Kind-Problematik gibt es weitere Baustellen: Angeblich haben wir einen furchtbaren Lehrermangel, Geld sei ja da. Nun, schau dir die Wartelisten an. Wir sind da und warten auf eine Chance. Wir bekommen sie nur nicht.

Es fehlt an „echter“ Bildung

Yasmin: Da stellt sich mir die Frage, wo denn eigentlich der Hase im Pfeffer begraben liegt. Womit könnte man die Probleme im Unterricht deiner Meinung nach anpacken oder gar lösen?

Sabrina:  Eine gewinnbringende Zusammenarbeit – Schüler und Eltern arbeiten zusammen, um das bestmögliche für unsere Kinder zu erreichen. Und ja, ich sage bewusst unsere Kinder, denn ja, in der Regel wachsen einem die Monster irgendwie ans Herz und man betrachtet sie, als zu einem gehörend. (Zumindest einige 😉 )

Welche exakten Maßnahmen das sein könnten…hm… Allem vorangestellt: ECHTE Bildung. Und damit meine ich NICHT !!!!! „Wie fülle ich einen Überweisungsträger aus“. Sorry, das ist ein Minimalmaß an Lebensfähigkeit, die jedem der lesen kann, gegeben sein sollte. Diese Bildung beziehungsweise Fähigkeit sollte nämlich AUSBILDUNG mitbringen. Das Problem an dem Ganzen ist oft Folgendes: Wir Lehrer machen die Angebote, diese werden aber oft nicht angenommen.

Daher ein klarer Appell an Schüler und Studenten: Liebe Abiturienten, ihr wisst nicht wie man eine Steuererklärung ausfüllt??!?! Aber lesen könnt ihr schon, oder? Man stelle sich vor, dass man eigene Denkleistung von der Menschheit erwartet –  und ja, genau HIER scheitert alles.

Aber zurück zu „wie schaffe ich es, den Unterricht zu realisieren, den ich jedem Kind gern zukommen lassen möchte?“ Nunja, ebenfalls damit, dass die Lehrer endlich wieder mehr „dürfen“.

Die Inklusion stellt Lehrende vor besondere Herausforderungen

Yasmin: Da wären wir ja wieder bei der Anwendung von Transferwissen. Man muss das Gelernte irgendwie anwenden… Allerdings fällt es mir heute immer noch schwer eine Steuererklärung auszufüllen – und ich bin sicher, dass ich lesen kann.  Bei all den Tücken und Fallen die da Lauern hilft nur manchmal alles Lesen nichts – aber das nur am Rande ? Zu Beginn bin ich auf die Inklusion und die damit verbundenen Problematiken eingegangen. Wie stehst du dazu?

Sabrina: Das Stichwort Inklusion ist zurzeit sehr modern, geht aber völlig an allen Bedürfnissen vorbei. Vor allem an den Bedürfnissen der Kinder, die inkludiert werden sollen. Denn ehrlich, ich muss ohnehin bereits differenzieren und eigentlich 20 unterschiedliche Arbeitsblätter vorbereiten.

Und DANN muss ich als Lehrer auch noch ein Kind mit besonderem Förderbedarf bespaßen. Ich frage mich nur, wie ich das leisten soll und wirklich allen gerecht werden soll.

Achso, ja. Da wäre ja die neue Schülergruppe. Die DAZ-Gruppe. Was das ist? Nun… Deutschland ist ein begehrtes Land. Blöd nur, dass keiner oder kaum einer der Schüler die Sprache spricht. Also muss ich in meinem Unterricht auch Kinder unterrichten, die der Sprache nicht mächtig sind, alphabetisiert werden müssen und so weiter.

Das frisst Zeit. Das Fazit ist einfach: Personal. Wir brauchen viel, viel, vieeeeel mehr Personal. Nicht nur Kompetentes, sondern auch Befugtes.

Gestresst, genervt und trotzdem motiviert

Yasmin: Mehr Personal also. Klingt eigentlich einfach… Ist ja auch da. Danke liebe Sabrina für den persönlichen Einblick in deine Gedankenwelt ? Zum Abschluss hätte ich gern noch 3 Hashtags, die die aktuelle Situation der Pädagogen am besten beschreiben würden.

Sabrina: # Hochbelastung # Müde # Motiviert

Motiviert mag nun überraschend klingen. Aber… Obwohl einiges schiefläuft – Eigentlich läuft extrem viel schief und Lehrer stehen unter einer hohen Belastung. Wir jammern und meckern auf allen Ebenen (ja, wir haben wirklich nicht um 13 Uhr Schluss und gehen ins Schwimmbad und morgen früh um 7:45 wieder in die Schule).

ABER: Wir haben Spaß daran. Wir machen es gerne. Wir versuchen jungen Menschen etwas beizubringen, damit sie gut durchs Leben kommen. Wir möchten ihnen mehr beibringen als wir können, denn wir sind nicht für alles zuständig.

Doch, es ist vermutlich wie mit dem Mutter/Vater sein. Wenn sie dann lächeln, Erfolg haben, glücklich sind, dass etwas gut klappt, DANN … ja DANN merken wir immer wieder…. Ja, wir machen das sehr gerne. Wir sind gerne für euch da. Auch wenn ihr zeitweise „saublöd“ seid. Menschlich, kognitiv und in allen anderen Belangen. Aber diese Momente, wenn man feststellt, dass ein Schultag super gelaufen ist, dann erkennt der Lehrer – wenn er durch die Schüler leeren Gänge der Schule streift, weil er noch 1 Mio. Sachen kopieren musste – „Ja, ich mache das gerne. Das ist schon genau das Richtige. Das wird schon irgendwie.“

Yasmin: Danke für das schöne Schlusswort liebe Sabrina! Ich hoffe sehr, dass sich für die Pädagogen zukünftig etwas verbessern wird, und ich euch als Mutter nicht auch noch das Leben zur Hölle machen werde ?

*Name von der Redaktion geändert.

 

PS: Wer bis hier her gelesen hat: Wow! Ich kann mir vorstellen, dass viele schon vorher abbrechen und kräftig Kommentare in die Tasten hauen. Dennoch möchte ich anmerken, das auf diesem Blog keine Beleidigungen erwünscht sind. Beleidigungen, Hass-Posts oder auch rechtsradikaler Unfug, werden nicht freigeschalten. Ich behalte es mir aber vor, Anzeige zu erstatten, wenn rechtsradikale Kommentare auftauchen sollten.