Was ist Familie heute?

Ich kenne eine Mama – Mitte 40, zwei Kinder, alleinerziehend – die ziemlich ungünstige Arbeitszeiten hat. Sie arbeitet von 12 bis 19 Uhr. Bei älteren Kindern wäre das wohl kein Problem, allerdings ist Ihre Tochter gerade Mal 6 Jahre alt. Letztes Jahr ging sie noch zur Kita. In diesem Jahr ist sie ein Schulkind. Ihr großer Bruder (Teenie) holt sie ab und an ab und passt auf. Allerdings unter großem Murren.  Das geht aber natürlich nur, wenn er auch zu Hause ist.

Die restliche Zeit über kommt die Oma vorbei. Sie macht den Kindern Essen, sie passt auf, dass die Hausaufgaben erledigt worden sind und kümmert sich auch um den Garten/Haushalt. Dafür legt sie beinahe täglich (!) eine Strecke von knapp 50 Kilometern (einfach) zurück. Hin und wieder übernachtet sie auch Mal. Eine krasse Leistung, vor allem, da sie auch nicht mehr zu den Jüngsten zählt und man ihr die Erschöpfung mit den zwei jungen Kids doch ansieht. Aber sie hat sich nicht einmal beschwert. Sie liebt ihre Enkel, sie liebt ihre Tochter. Und sie hilft, wo sie kann. Das ist Familie für sie. Und sie hat meinen vollsten Respekt!

Große Alltagshelden

Ein anderes Beispiel: Ein alter Kitafreund von Claire wird im August nicht zur OGS gehen. Stattdessen wird ihn die Oma nach der Schule abholen und betreuen, bis die Eltern von der Arbeit kommen. Auch hier scheint es völlig selbstverständlich zu sein, dass die Großmutter so eng ins Familienleben eingespannt ist. Schon immer! Jeden Tag wartet sie im Auto darauf, dass ihre Tochter den Sohn aus der Kita abholt. Sie winkt mir immer freundlich zu wenn ich aus dem Haus gehe. Ich freue mich immer unglaublich, wenn ich diesen Zusammenhalt sehe – und bin auch ein wenig neidisch, weil ich es mir für meine Mädchen auch wünsche, dass Oma jeden Tag da ist und Teil des familiären Alltags ist <3

Was ist Familie für euch?

Wenn ich Familien wie diese sehe denke ich: DAS ist Familie. Sie leben genau das, was Familie (für mich) ausmacht. Halten zueinander. Sie unterstützen sich. Auch eine „Mini-Umfrage“ auf Twitter, hat ein ähnliches Bild ergeben:

(Weitere Antworten sind auf Twitter zu finden)

Familie ist füreinander da sein, füreinander zu sorgen, miteinander lachen und glücklich sein. Aber vor allem: Familie heißt nicht immer, dass man miteinander verwandt sein muss. Familie wohnt im Herzen. Ein ganz wichtiger Aspekt, der an anderer Stelle nochmal ganz wichtig wird!

Familie hat nichts mit dem Verwandtschaftsgrad zu tun

Es ist nicht gerade selten, dass Familie über die Grenzen herausgeht. So ist mein bester Freund (und Ex-Verlobter) zusammen mit seiner Lebensgefährtin eine Art Teil der Familie für mich geworden. Sie waren in schlechten Zeiten für mich da, stehen mir mit Rat und Tat zur Seite. Ich kann mich drauf verlassen. Ein wunderbares Gefühl. Aber es gibt auch eine andere Seite…

Eine sehr gute Freundin leidet zum Beispiel gerade darunter, dass ihre Familie sie irgendwie im Stich gelassen hat. Ihre Situation ist (leider) das beste Beispiel dafür, wie Familie nicht  funktioniert. Zumindest nicht nach meinem persönlichen (!) Verständnis: Ihre mittlere Tochter wurde bisher von der Oma nach der Schule betreut (Grundschülerin). Sie selbst hat gerade eine Ausbildung begonnen, um sich einerseits einen lang ersehnten Lebenstraum zu erfüllen, andererseits aber auch, um ihre Zukunft abzusichern. Als Mama dreier Kinder ohne (bisherige) Ausbildung, ist man auf dem Arbeitsmarkt ja in etwa so beliebt wie vaginaler Herpes.

Spontaner Urlaub wirft alles durcheinander

Und nun hat die Oma – völlig spontan – eine Reise gebucht, ist von einem auf den anderen Tag abgereist und kommt erst im Juli wieder. Meine Freundin steht ganz plötzlich ohne Unterstützung da. Eine Tagesmutter o. Ä. zur Randzeitbetreuung findet sie nicht. Schöne Scheiße. Denn immerhin ist hier ihre gesamte Ausbildung in Gefahr! Es gibt keine Möglichkeit, diese zu unterbrechen oder pausieren. Kann sie nicht weiter machen, war´s das mit ihrem Traum.

Für mich (!) Ist das total heftig, sowas zu lesen. Kann das Familie sein? Es geht hier tatsächlich um eine Existenz. Da sollte der Spaß aufhören und familiärer Zusammenhang anfangen, oder nicht? Zeit für Ficki Ficki (ja, es geht um einen Mann) ist immernoch. Zum Glück findet sie aktuell Hilfe in einer Freundin, die sie unterstützt – trotz einer OP wohl gemerkt. Aber bis Juli? Das wird schwierig. Einen Babysitter engagieren kostet zu viel. Sie ist ratlos. Verzweifelt. Zu gern würde ich ihr irgendwie helfen…

Moderne Großeltern: Ein Leben ohne Enkel

Das ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass Blut eben nicht dicker als Wasser ist. Freundschaft ist hier mehr wert. Die Oma hat ihr eigenes Wohl, vor das ihrer Enkel gestellt. Natürlich ist es ihr gutes Recht. Absolut. Nur finde ich es sehr traurig, dass dadurch so viel Kummer und Sorgen entstehen und die Zukunft meiner Freundin gefährdet wird. Hätte man es nicht anders lösen können? Zumindest absprechen? Ist es das Ziel der „modernen Generation“ Großeltern? Alles hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen, wenn die Kinder aus dem Haus sind? (Achtung könnte überspitzt formuliert sein).

Denn so wie es aussieht, wird es bald zur Tagesordnung gehören, sich eher auf Freunde oder „externe Kräfte“ (Tagesmutter, Babysitter usw.) verlassen zu müssen, wenn es um Unterstützung geht. Wie ich darauf komme? Ich hatte kürzlich eine ziemlich ungemütliche Diskussion, die ich im Nachhinein mit viel Traurigkeit und Wehmut betrachte. Sie lief via Twitter mit mehreren Parteien ab und hat mir gezeigt, dass mein Blick auf „Familie“ scheinbar recht naiv zu sein scheint. Zu romantisch. Zu treuherzig und loyal.

Was will die „Oma von heute“?

Es ging im Großen und Ganzen darum, dass Großeltern – hier kamen speziell Omas zur Sprache, darum bleibe ich jetzt beim Begriff Oma – nicht mehr das „traditionelle Bild“ erfüllen wollen. Also dieses System der Mehrgenerationenfamilien, die sich gegenseitig unterstützen: Omas, die auf ihre Enkel aufpassen, damit die junge Generation arbeiten kann. Oder vielleicht mit im Haushalt anpacken etc. (was normal ja auch auf Gegenseitigkeit beruht). Die Oma von heute will selbstbestimmt und frei sein. Ihr gutes Recht. Sie haben mit 18, 20 oder 25 Jahre Kinderbetreuung der eigenen Kinder ihren Tribut geleistet und „fangen bei den Enkelkindern sicher nicht mehr bei Null an“ (entstammt einem Zitat).

Sie möchten ihre Wünsche verwirklichen, arbeiten gehen, ihren Träumen nachjagen – und bei all dem ist für Enkelkinder kein Platz. Ich verstehe sehr wohl, dass viele Generationen von Frauen an Küche, Familie und Herd „gekettet“ waren. Sie waren für den Haushalt und die Kinderbetreuung zuständig. Karriere gab´s nicht. Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten Frauen so gut wie keine Rechte. Ja, ich weiß das. Alles!

Es gibt nicht nur schwarz oder weiß

Aber ich verstehe nicht, warum es von einem Extrem ins andere gehen muss. Warum es keinen Mittelweg zwischen „ständiger Verfügbarkeit“ und „keiner Verfügbarkeit“ geben kann. Ich verstehe sehr wohl, dass sich einige Frauen jahrelang in ihrer Rolle unwohl gefühlt haben. Sie wollten vielleicht „mehr vom Leben“, waren aber lange Zeit für Haushalt und Kinder zuständig. Jetzt haben sie die Chance sich anders zu verwirklichen. Machen das auch. Und das gönne ich ihnen von Herzen. Aber warum ist da kein Platz – also Zero – für Enkelkinder?

Es geht mir nicht darum, dass sie täglich oder mehrmals die Woche mehrere Stunden Zeit miteinander verbringen sollen, wie in den Beispielen am Anfang. Das sind echt „Extremfälle“.  Einmal im Monat für 2 bis 3 Stunden fände ich schon total schön. Um eine Bindung zu schaffen und konstant zu halten. Doch selbst das ist manch Mensch zu viel. Es macht mich so traurig, wenn Zeit mit den Enkeln, begrenzte Zeit, so negativ betrachtet wird. Und nachdenklich.

Ich frage mich, was da alles „passiert“ sein muss. Nicht abwertend gemeint. Es stellt sich mir einfach die Frage, worauf ich achten kann, damit es mir nicht auch mal so ergeht… Ich möchte mir selbst dieses Gefühl meinen „Tribut geleistet zu haben“, fernhalten und die gleiche Freude im Herzen empfinden, wie ich sie jetzt empfinde, wenn ich daran denke, dass meine Kinder auch mal Eltern werden. Ich hoffe es gelingt mir für meine Familie da zu sein, wenn ich älter bin (wie es kommt, weiß ich dann in 20 Jahren).

„Haben Sie denn keine Oma in der Nähe?!“

Kleiner Funfact: Wenn man in Beratungsstellen, Anlaufstellen zur Selbsthilfe, in der Twitter-Bubble, in Facebook-Gruppen oder anderen Plattformen unterwegs ist, kommt meist ein und dieselbe Frage, wenn man von Überbelastung spricht: „Gibt es denn keine Oma in der Nähe, die das Kind ein paar Stunden nehmen könnte?“ Tja nun.

Die Oma mag es vielleicht sogar in unmittelbarer Umgebung geben. Sie will das Kind nur nicht (in den angesprochenen Fällen). Für manche Omas scheinen ein paar wenige Stunden im Monat bereits zu „große Opfer“ abzuverlangen. Ein „zu großer Einschnitt ins selbstbestimmte Leben“. Ich war ehrlich gesagt verblüfft über derlei Aussagen.

Keiner verlangt 24/7 Dienste

Keiner verlangt, dass eine Oma 24/7 greifbar sein muss oder gar ins Haus der Enkel miteinzieht. Also, zumindest ich nicht. Ich will das auch gar nicht – Oh Gott.  Aber Großeltern, die nur zu den Feiertagen und einem Ausflug im Jahr Zeit haben, sind das andere Extrem, welches ich nicht für mich akzeptieren kann und will. Es gibt doch etwas dazwischen? Ein, zwei Besuche im Monat? Gemeinsame Kaffeenachmittage. Oder eben auch der Notanker, wenn man das Kind anders nicht unterbekommt. Das kann man widerrum aber nur sein, wenn die Enkel die Omma auch kennen. Man kann die Großeltern-Enkel-Beziehung ja verschieden ausgestalten – keine Frage. Für mich existiert aber gar keine echte Beziehung, wenn die Großeltern die Enkel nur zu den „Pflichtterminen“ sehen. Weihnachten, Ostern, ein jährlicher Zoobesuch. Ende. Ist ähnlich schräg, wie Sex nach Wochentag, finde ich.

Da stelle ich mir die Frage, ob es nicht sinvoller wäre, die Ressourcen anders einzusetzen. Aufgrund der Entfernung sieht meine eigene Mutter die Enkel beispielsweise kaum (blöd, aber ich verstehe es aus mehreren Gründen). Wir sehen uns zu ein paar Gelegenheiten im Jahr. Zwei oder dreimal… Das Ergebnis: Jedes Mal, wenn ich ankündige, dass wir zu Oma A fahren, schaut mich Claire mit großen Augen an: Oma A? Wer war das nochmal?

Bindung basiert auf Gegenseitigkeit

Das finde ich ziemlich belastend. Und traurig. Aufgrund der Entfernung geht es nicht anders. Ja. Kein Vorwurf! Aber, ich verstehe für mich nicht, warum eine Oma (oder auch ein Opa) für sich aktiv entscheidet, genau so (k)eine Bindung erzeugen zu wollen. Warum sollte ich dann meine Energie dazu aufbringen, das Verhältnis überhaupt aufrechterhalten zu wollen? Bindung muss von beiden Seiten gewünscht sein.

Darum geht es ja schließlich auch. Die Familie zu einen, die Bindung zueinander aufbauen und stärken. Ich finde Vorwürfe wie „Omas werden ja nur zur kostenlosen Kinderbetreuung missbraucht“ daher mehr als übergriffig und gemein. Ja, sie können eine super Ergänzung sein. Sie können uns den Arsch retten! Und selten bezahlt man das (wir haben früher beispielsweise das Spritgeld bezahlt). Das ist widerrum auch eine Entlastung! Nicht jeder hat das notwendige Kleingeld und muss die Kinder dennoch untergebracht bekommen. Schöner wäre es natürlich, wenn man die Großeltern auch bezahlen könnte. Aber andererseits: Wir sprechen hier von Familie. Und die beruht doch auch immer auf Gegenseitigkeit.

Sei es das Netzwerkkabel, dass dem Vater im neuen Haus verlegt wird, sei es Geld, welches der Mutter geliehen wird (Beispiele aus dem persönlichen Umfeld) – schon jetzt helfen wir doch unseren Eltern, wenn wir es können. Spätestens, wenn sie älter werden. Wenn sie Hilfe beim Einkaufen benötigen, das Pflegeheim bezahlt werden muss oder wir gar selbst die Eltern pflegen – es kommt alles zurück. Familie ist ein Kreislauf. Ein Geben und Nehmen. Ein für mich gesunder Kreislauf. Warum möchte man daraus ausbrechen und alles hinter sich lassen?

Familie wird enger

Es fällt mir wirklich sehr schwer, das alles nachzuvollziehen. Mein Familienbild hat wirklich Risse bekommen. Familie wird zukünftig wohl anders definiert werden. Enger. Kleiner. Zumindest für mich. Auch ich habe mich schon von Teilen der Familie abgewandt und ich würde es wieder tun – wenn ich sehe, dass mir der Umgang nicht gut tut und meine Ressourcen nachhaltig schwächt. Das ist aber keinesfalls mein Ziel. Mein Ziel wäre eine Einheit. Worauf ich mich verlassen kann. Ist das nun ein naiver Traum? Vielleicht. Ja. Vielleicht wandelt sich wirklich alles. Vielleicht ist es aber nur eine kurze Momentaufnahme gewesen. Eine Randerscheinung?

Es tauchen nun Fragen auf, wie zukünftig die Kinderbetreuung gestaltet werden kann. Vor allem in finanziell schwachen Familien. Und dort, wo es einfach keine Betreuungsplätze gibt. Wie baue ich soziale Netze auf, die mir helfen können? Wenn nicht nur Omas (bzw. Großeltern), die weiter weg wohnen, wegfallen, sondern auch Großeltern vor Ort, dann wird die Luft doch ziemlich eng. Ich hoffe sehr, dass sich diese extreme Entwicklung nur in meiner Filterbubble zeigt und gar nicht so krass ist. Ich wünsche mir ganz viele Familien, wie die zu Anfangs genannten Beispiele. Weil ich es einfach als wunderschön erlebe und das das Bild von Familie ist, welches ich immer im Herzen getragen habe.

Mama ist man ein Leben lang

Ich versuche Familie jedenfalls so zu leben, wie ich es für richtig halte. Auch später werde ich für meine Kinder UND Enkel (sollte es welche geben) da sein. Denn ich bin der Meinung mit dem 18. Geburtstag meiner Kinder hört mein Mamasein nicht auf. Das ist eine Entscheidung, die ich für das Leben getroffen habe.

Ich werde mein Leben lang auch dazu stehen. Denke ich. Das Mamasein ist ein Teil von mir. Ich muss einfach nur darauf achten, dass es mich nicht (weiter) auffrisst und ich meine Grenzen rechtzeitig ziehe. Dann werde ich wohl auch (hoffentlich) das Gefühl umgehen, mich plötzlich von der Verantwortung ganz lösen zu müssen, um selbstbestimmt zu sein (so der Plan).

Die größte Herausforderung des Mamaseins

Das ist denke ich, eine der größten Herausforderungen im Mamasein: Für die Kinder da sein und dennoch selbstbestimmt und ein eigener Mensch bleiben. Eine Aufgabe, an der ich auch immer wieder scheitere. Aber ich arbeite dran. Und ich wünsche allen Müttern, dass sie mit dem Erwachsenwerden ihrer Kinder nicht das Gefühl haben werden, sie hätten ihr Leben für das ihrer Kinder weggegeben und müssten es nun nachholen. Ein verständliches Gefühl, aber es macht mich auch traurig, das so zu erleben… Familie sollte keine Last sein. Auf keinen Fall! Das möchte ich nicht für mich, und auch nicht für andere. Aber manchmal ist es Arbeit, harte Arbeit.

In diesem Sinne, stelle ich mir zukünftig die Frage: Macht es mich glücklich, oder kann das weg? Man kann nicht nur Gegenstände ausmisten 😉

Wie ist es bei euch? Nach welchem Familienbild lebt ihr? Gehören die Großeltern fest dazu, oder sind sie eine Randerscheinung in eurem Leben? Glaubt ihr, dass wir zukünftig auf „Ommas Hilfe“ verzichten müssen? Oder waren das nur Stimmen am Rande?

PS: Sorry für den Gedankenzwurbel. Mein Kopf ist in den letzten Wochen ziemlich matschig geworden und meine Gedanken sind es auch 🙂