„Mädchen können sowieso kein Mathe. Den Test schaffst du nicht und bleibst sitzen!“
Diese Worte meines damaligen Mathelehrers am Albert-Schweizer Gymnasium haben sich bei mir eingebrannt. Ich sollte eine Mathearbeit nachschreiben. Saß allein mit ihm in einem Nebenzimmer, starrte auf die Zahlen und Buchstaben, die wie wild in meinem Kopf umherwirbelten und tanzten. Ich versuchte mit aller Macht einen Sinn darin zu sehen. Ich habe wirklich versucht mich anzustrengen. Alles gegeben. Immerhin wollte ich meine Mama nicht enttäuschen…
Ich werde es euch allen zeigen!
Dann kam der Spruch und: Ich wollte es diesem fiesen Sack zeigen! Von wegen Mädchen können das nicht, pah! Außerdem wollte ich doch mein Abitur schaffen. Vielleicht sogar zu den Besten gehören und in den Ententeich geschubst werden. Das hatte hier Tradition: Die besten Abiturienten mussten durch den Ententeich, der direkt am Gymnasium war, schwimmen.
Ich habe mir das total toll vorgestellt. Jetzt, 10 Jahre später freue ich mich, dass ich nie in diesen ekligen Ententümpel springen musste. Ich habe es natürlich nicht gepackt und eine glatte 5 geschrieben. Nach der verkackten Mathearbeit blieb ich sitzen. Dank Mathe und Erdkunde (jaja Frauen und Orientierung, gell?).
Neue Schule, neues Glück?
Auch meine restlichen Leistungen hielten sich in Grenzen. Dreier, Vierer, Fünfer. „Zu blöd für´s Gymnasium“ würden einige jetzt vielleicht sagen oder denken. Meine Mum dachte das wohl nicht. Natürlich gab es Ärger. Es gab Wut und Enttäuschung. Vor allem bei mir, als sie mir mit einer neuen Schule kam. Eine Privatschule mit Internat. INTERNAT? Abschiebung oder was? Ich nahm erstmal eine Abwehrhaltung ein. Aber nein. Ich sollte nur die Schule besuchen. Einen Neuanfang machen. Hm, ok. Warum eigentlich nicht?
Das Schuljahr auf derselben Schule zu wiederholen war nie ein Thema. Ebensowenig wie Nachhilfe. Meine Mum wusste wohl, dass das eh nichts bringen würde. Nicht, weil ich zu „blöd“ dafür wäre, oder, weil „Mädchen Mathe nicht können“. Im Gegenteil. Sie schien zu wissen, dass ich es kann. Sie wusste, dass ich sehr wohl in der Lage war, die Aufgaben zu erledigen. Sie kannte mich all die Jahre, kannte meine Leistungen, schien zu wissen, dass der Grund woanders lag.
Dennoch hätte keine Nachhilfe oder andere Förderungsmaßnahme der Welt meine Noten verbessert.
Darf ich vorstellen? Ein Opfer
Das Problem lag nämlich ganz woanders: Mobbing. Ich nehme an, das hatte sie erkannt, und deshalb niemals Nachhilfe zum Thema gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies aus finanziellen Gründen geschah. Zu dem Zeitpunkt ging es uns (noch wieder) gut. Emotional nur leider nicht. Ich verbrachte die Pausen meist auf dem Klo. Habe meine Mitschüler so gut es ging gemieden. Ich hatte Reiszwecken auf dem Stuhl. An der Tafel standen verletzende Sprüche und Drohungen.
Oft wurde ich ausgelacht und beleidigt. Der Sportunterricht wurde beispielsweise jedes Mal zum Spießrutenlauf. Gut war ich noch nie. Und ganz klischeehaft: dick. Ein dickes, doofes Kind, dass die Klamotten der verstorbenen Oma trugt, statt cooler Markenteile. Und ohne das Fünkchen Selbstbewusstsein. Ein Opfer.
Verliebt in Mathe
Doch mit dem Schulwechsel wurde alles anders. Einfach alles! Die neue Klassengemeinschaft nahm mich besser auf (noch nicht ganz frei von Mobbing, aber man kann ja nicht alles haben, oder?). Die Lehrer schienen unvoreingenommen. Und dann ist es passiert: Mein neuer Mathelehrer war jung, dynamisch, mitreißend.
Er kam gerade von der Uni. Frischfleisch, voller Hoffnungen, Visionen und Tatendrang. GENAU was ich brauchte. Plötzlich, da habe ich mich verliebt. In die Zahlen. Und vielleicht auch ein bisschen in ihn.
Der erste Matthetest brachte den Durchbruch: Ich bekam eine 1+! Ich habe alle Aufgaben sowie die Zusatzaufgabe völlig korrekt gelöst. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wunderbar ich mich gefühlt habe! Skeptiker werden nun anmerken, dass ich ja den Stoff zum zweiten Mal hatte und es natürlich klar ist, dass ich mein Zeugnis von einer 3,6 auf eine 1,8 katapultiert hatte. Ja stimmt. Aber wisst ihr was? Ich habe meinen Schnitt bis zum Abitur fast gehalten! Von wegen doof. Von wegen Mädchen können kein Mathe! Ich hab es alles gezeigt! Vor allem MIR.
Vom Mathenoob zum Mathenerd
Und dann: Ich fing an in der Oberstufe Nachhilfe zu geben. In Mathe. Ja genau! Ihr lest richtig. Und es kommt noch besser. Nicht nur in der Schule, auch in der Studienzeit begann ich Nachhilfe in Mathematik zu geben. Die damalige Matheklausur schrieb ich ohne Vorbereitung und bekam eine 1,3. Maximaler Output für minimalen Input. Jetzt soll nochmal einer sagen ich (oder gar Mädchen) wäre zu doof für Mathe… Lieber ehemaliger Mathelehrer: FU! Gotcha!
Warum ich euch diese Geschichte erzähle? Weil ich am Scoyo ELTERN! Blog Award teilnehmen möchte. Diesjähriges Thema ist „Nachhilfe & Förderung: Was hilft Kindern wirklich?“. Da ich noch kein Schulkind habe, wollte ich euch eine Geschichte aus meiner Schulzeit erzählen. Aber Moment Mal! Ich habe doch erzählt, dass ich gar keine Nachhilfe beansprucht habe.
Wie passt das jetzt zusammen? Nun. Ich möchte euch sensibiliseren. Und ermutigen auch über den Tellerrand hinaus zu sehen: Ist euer Kind vielleicht gerade schlechter in der Schule? Wird es trotz Nachhilfe nicht besser? Fallen die Leistungen rasant ab? Ist es vielleicht öfter Mal wütend oder unerreichbar, wenn ihr mit ihm sprechen möchtet. Dann wird es vielleicht gemobbt.
Druck statt Hilfe: Wird mein Kind gemobbt?
Ein Mobbingopfer zu sein ist hart. Wenn dann auch noch der Druck von außen kommt – die Noten müssen besser werden, das Kind soll zur Nachhilfe – verschlimmert sich die Situation nur noch. Das Kind kann mit Ablehnung, Lernstreik oder einfach weiterhin fallenden Zensuren reagieren. Womöglich gerät es so stark unter Druck, dass es trotz vieler Mühen nicht besser wird und anfängt die Schuld bei sich zu suchen, zweifelt, trauert. Ein guter Nährboden für Depressionen – da spreche ich leider aus Erfahrung. Und all das, obwohl die Eltern es nur gut gemeint haben. In erster Linie ist Nachhilfe ja was Gutes. Förderung statt Forderung kann den gewünschten Erfolg bringen.
Was kann man also tun? Ursachenforschung betreiben! Ehe man mit der Tür ins Haus fällt und Nachhilfe/Förderung anbietet, sollte man sich gemeinsam mit dem Kind klar darüber werden, woher die schlechten Zensuren kommen: Ist es Mobbing? Oder vielleicht Unterforderung? Eine Art Boykott, ausgelöst durch Probleme innerhalb der Familie? Oder ist der Stoff wirklich zu schwer? Versucht Abstand von der Situation zu nehmen. Nehmt die Perspektive des Kindes ein. Schaut zweimal hin.
Hinweise für Mobbing sind beispielsweise:
- Das Kind geht nicht oder nur unter Protest zur Schule
- Sobald das Thema „Schule“ aufkommt, verstummt das Kind und zieht sich zurück
- Das Kind zieht sich aus dem Sozialleben zurück, besucht keine Freunde mehr oder legt seine Hobbies ab
- Auch verstärktes Auftreten von Kofweh, Bauchweh oder Übelkeit können Anzeichen von Mobbing sein
- Regelmäßige Verletzungen wie blaue Flecken
- Verhaltensänderungen: zieht sich zurück, wirkt aggressiver, bedient sich anderem Vokabular
- Fragt häufiger nach Geld oder „verlieren“ es (weil das Kind ggf. erpresst wird)
- Möchten den Schulweg nicht allein bestreiten.
- Die Kinder werden von Alpträumen geplagt
- Sie verletzen sich (bis hin zum Suizidversuch)
- …
Die Ursachen für Mobbing können verschieden sein: Man passt nicht ins „Klassenbild“, die Lehrkraft nimmt das Mobbing nicht ernst, ignoriert es sogar. Es gab einen Vorfall, ein Missverständnis oder der Schüler hat irgendwie einfach nur „Pech“. Manchmal lag es an fehlgeschlagener Kommunikation, manchmal gerät man einfach in ein Machtspiel hinein. Es wäre falsch einen „Schuldigen“ zu suchen, auch, wenn natürlich die Täter keine Unschuldslämmer sind. Doch das würde nur mehr Druck erzeuigen. Wichtig ist in Kommunikation zu treten und versuchen herauszufinden, ob und wie man das Problem lösen kann.
Solltet ihr tatsächlich einen Fall von Mobbing vorliegen haben, überstürzt nichts. Den Täter stellen klappt in den seltensten Fällen. Schaltet die Schule ein, den Elternbeirat oder geht sogar zum Schulleiter und tragt den Fall vor. Überlegt gemeinsam, was man tun könnte. Es kann durchaus sein, dass ihr damit auf taube Ohren stößt. Ich kenne so einige Fälle, in denen die Schuld dann bei den Mobbing-Opfern gesucht wurde. Da lohnt es sich erfahrungsgemäß nicht zu kämpfen, sondern einen Neuanfang zu wagen: Eine neue Schule, die vorab informiert wurde.
Im besten Fall gibt es da dann sogar einen Vertrauenslehrer, der auf Mobbing spezialisiert ist und sich dem Kind annehmen kann. Das möchte ich euch aus meiner persönlichen Erfahrung aus dem Bekanntenkreis ans Herz legen. Generell ist es wichtig, auf euer Herz zu hören und auch nur beim kleinsten Verdacht die Zeichen zu deuten. Vertraut auf euren Instinkt, wenn es ums Kind geht!
Nehmt euch feste Zeiten vor
Generell sollte man bei Verhaltensänderungen in jegliche Richtung hellhörig werden und das Kind beobachten. Natürlich kann das im hektischen Alltag zunächst untergehen. Wir sind alle nur Menschen und haben nicht immer alles auf dem Schirm. Versucht euch dennoch zumindest einmal in der Woche die Zeit zu nehmen und Revue passieren zu lassen, ob euch irgendetwas komisch vorkam. Vor allem im Zusammenhang mit schlechteren Zensuren.
Sollte sich herausstellen, dass der Stoff einfach „blöd“ ist, oder es Ärger mit einem Lehrer gibt, oder das Schulsystem an sich in Frage gestellt werden muss, oder, oder, oder und es KEIN Fall von Mobbing ist, freut es mich natürlich sehr. Zu diesen und anderen Themen findet ihr bei meinen Bloggerkollegen ganz tolle Beiträge mit weiteren Anregungen, Ideen und Fakten zum Thema „Nachhilfe und Förderung an der Schule“:
- Ein ehemaliges Waldkitakind geht zur Schule
- Der nächste große Schritt-Gedanken zur Einschulung
- Wem die Stunde schlägt… – Was braucht mein (Vor-)Schulkind?
- Plickers im Mathematikunterricht: Meine Erfahrungen nach 9 Monaten Einsatz
Mehr zum scoyo ELTERN! Blog Award 2018
Gesucht werden Beiträge von (Nicht-) Bloggern rund um das Thema „Nachhilfe & Förderung: Was hilft Kindern wirklich?“. Die Beiträge können bis zum 31. Juli 2018 eingereicht werden. Eine Jury entscheidet dann über 13 Finalisten, deren Leser für ihre Favoriten abstimmen kann. Die drei besten Beiträge erhalten tolle Gewinne.
Mehr zum Thema findet ihr unter den Hashtags: #scoyoelternblogaward #scoyolernhelden2018
Die Überschrift ist aber sehr einseitig^^
Ich empfehle den Artikel zu lesen.
Auch Gott lernt dazu. Man merkt das an den Verbesserungen bei der Erschaffung der Frau gegenüber der des Mannes.
Zsa Zsa Gabor
Ähm…?
Finde den Artikel auch sehr lesenswert.
In welchen Schulfächern man begabt ist und in welchen weniger, hängt nicht mit dem Geschlecht zusammen, auch wenn gemeinhin behauptet wird, dass eher männliche Schüler den naturwissenschaftlichen Fächern gewachsen seien. Auf Nachhilfe in Mathematik sind somit beide Geschlechter angewiesen, wenn die erforderlichen Grundlagen fehlen. Diese müssen nämlich ohne Schwierigkeiten beherrscht werden, um anspruchsvollere Aufgaben verstehen und lösen zu können.
Es stimmt, dass schlechte Noten häufig Resultat von Mobbing in der Schule sind. Eine weitere recht häufig auftretende Erklärung für Schwierigkeiten im Fach Mathematik ist, dass die Themen wie in vielen anderen Fächern aufeinander aufbauen. Vielen Schülern hilft Nachhilfe dabei, wichtige Grundlagen zu wiederholen, damit die neuen Themen überhaupt verstanden und bearbeitet werden können.