Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn

Vor ein paar Wochen habe ich von meiner Erziehungs-Sackgasse berichtet. Die Maus leidet an echt krassen Wutanfällen/Trotzanfällen/Autonomiephase und wir kamen einfach nicht mehr damit klar und waren ratlos. Daraufhin hatte ich dann plötzlich ein Exemplar „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn – „Der entspannte Weg durch die Trotzphasen“ im Briefkasten. Ich war verwundert. Angefordert habe ich das Buch nicht. Wo kommt es her? Die Aufklärung fand sich im Inneren des Buches: Leserin Claudi hat von unserer Misere gelesen und sah in dem Buch eine Lösung für unser Problem. Da ich Erziehungsratgebern aller Art abgeschworen hatte, habe ich das Buch zunächst ins Regal verbannt.

[Anmerkung] Ich habe den Beitrag in mehrere Bereiche unterteilt, da er sehr lang geworden ist. Um inhaltlich alles bzw. meine Emotionen und Gedanken zu verstehen, ist es notwendig, alles zu lesen. Daher würde ich mir wünschen, dass auch wirklich alles gelesen wird, ehe die Heugabeln gezückt werden.

Inhalt:

  1. Einleitung
  2. Überblick zum Buch
  3. Der erste Eindruck
  4. Elternbedürfnis vs. Kind vs. Gesellschaft
  5. Weichspülpädagogik? Na gut.
  6. Was wir durch das Buch gelernt haben.
  7. Neuer Testlauf im Urlaub
  8. Was bedeutet das Buch nun für mich?
  9. Ist das Buch eine Hilfe? (für mich)
  10. Mein Fazit


Es stellten sich immer wieder Situationen ein, die unlösbar schienen. Claire hatte sich etwas gewünscht, nicht bekommen und verfiel in eine heftige Wutattacke, die schreien, schimpfen, schlagen und werfen beinhaltet hatte. Ich war mit den Nerven am Ende. So sehr, dass ich (wir) selbst anfing zu schreien – ihr könnt es euch denken: besser gemacht hat es das nicht. Voller Hormone, Verzweiflung und Tränen habe ich angefangen zu zweifeln, ob ich – oder auch wir – einem zweiten Kind überhaupt gewachsen sind.

Ich begann allen Ernstes in Erwägung zu ziehen das zweite Kind zur Adoption freizugeben. Damit es mal bessere Eltern findet, die bereit dazu sind.

Nachdem mich dieser Gedanke getroffen hatte, war ich schockiert. Es muss sich etwas ändern! Ich griff also nach dem letzten Strohhalm, den ich sah und für halbwegs sinnvoll hielt (Familientherapien halte ich aus diversen Gründen für nicht wirklich sinnvoll, das kann ich aber gern an andere Stelle mal erklären). Ich fing an „Der entspannte Weg durch die Trotzphasen“ zu lesen. Ich sprang also über meinen Schatten und habe aus der Not heraus versucht, Lösungen zu finden. Allerdings fand ich dabei direkt auch mehr Probleme und es begann eine echt turbulente Zeit… Für mich, meinen Mann und das Kind. Hier brach der totale Krieg aus.

Überblick zum Buch

Klappentext: Will das Kind NIE ins Bett? Und Treppen laufen kommt nicht infrage? Statt selbst Tobsuchtsanfälle zu kriegen, lesen Eltern lieber dieses Buch. Die Autorinnen des größten Elternblogs Deutschlands zeigen, wie man die eigenen Nerven beruhigt und das Kind gleich mit.

Das Trotzalter ist die erste heiße Phase im Leben mit dem Nachwuchs. Kaum steht es auf seinen eigenen Beinen, beginnt das Kind nach Autonomie zu streben. Der kleine Sonnenschein wird zum tellerwerfenden Wutmonster und verunsichert seine Eltern zutiefst. Die Autorinnen machen Mut, Wege abseits der klassischen Erziehung mit festen Grenzen und strenger Konsequenz zu gehen.

Sie erklären, was in den Kindern vorgeht und warum Trotzphasen wichtige Entwicklungsphasen sind, die Eltern aktiv annehmen sollten, statt sie zu unterdrücken. Die witzig-persönlichen Erfahrungsberichte, praktischen Tipps und neuesten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung sind Balsam für die Seele gestresster Eltern.

Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen

Autorinnen: Danielle Graf/Katja Seidel

Beltz Verlag

Der erste Eindruck

Erst einmal habe ich gezielt die Kapitel gelesen, die auf unsere Situationen passen könnten: Die Wut der Eltern, die Wut des Kindes. Was tun, wenn das Kind keine Treppe steigen will (das Problem kennen doch fast alle Eltern, oder?). Step by Step habe ich mich durchgelesen und irgendwann auch einfach von Anfang an alle Kapitel durchgehabt. Uff. Viel harte Kost. Manches musste ich natürlich mehrmals lesen, um zu verstehen. Ehrlich? Bei manchen Vorschlägen und Herangehensweisen habe ich mit dem Kopf geschüttelt. Beispiel gefällig?

Wenn ich das Kind aus der Kita abhole – der Kitaalltag ist hart, keine Frage – und es unbedingt raus will, auf den Spielplatz oder nur heim, die Erzieherin mir aber noch etwas sagen möchte, ist es besser das Bedürfnis des Kindes voranzustellen. Immerhin hatte es einen harten Tag, war den ganzen Tag „brav“ und muss sich nun ausleben dürfen. Das verstehe ich vollkommen. Ich will nach der Arbeit auch nur heim! Aber: Ein „warte bitte kurz, ich muss das noch klären“ kann zu einem Wutanfall der Sonderklasse führen (kenne ich). Dabei sollte das drin sein.

Der-entspannte-Weg-durch-die-Trotzphasen

Elternbedürfnis vs. Kind vs. Gesellschaft

Das Buch sagt (in meiner Interpretation), das muss nicht sein, verschieb das Gespräch, das hat Zeit. Ich aber sage, dass es nun mal Dinge im Leben gibt, die keine Zeit haben. So ein Info-Gespräch ist wichtig, das Kind muss lernen zu verstehen, dass es nicht immer an erster Stelle steht. Hier hätte ich mein Bedürfnis nach der Information klar über das Bedürfnis des Kindes gestellt. Warum? Wer weiß, was die Erzieherin zu berichten hat: Ein wichtiger Termin, den ich nicht verpassen sollte? Gibt es wieder ein gemeinsames Frühstück und ich soll was Bestimmtes mitgeben?

Ich denke streng bedürfnisorientierte Eltern finden so eine Aussage bestimmt nicht gut, aber: Manche Erwachsenenbedürfnisse liegen eben über denen der Kinder. Sicherlich sollte man versuchen auf Augenhöhe zu bleiben – so weit es eben geht. So lang die Abhängigkeit nur von den Eltern erfolgt ist das sicherlich auch erfüllbar. Man kann nicht abstreiten, dass das gesellschaftliche Leben stattfindet wo es stattfindet und man sich dem schlecht entziehen kann. So wie ich mich nicht vor Pflichten und Verbindlichkeiten drücken kann. Das Kind sollte lernen, dass es (gesellschaftliche) Erwartungen gibt, die man erfüllen muss. Warum? Weil die Gesellschaft sich nicht so einfach ändern wird. Und ich mein Kind schützen möchte unter zu gehen. Ich verstehe den Wunsch vieler Eltern, hätte auch gern dieses Utopia, welches mit der bedürfnisorientierten Erziehung oft einhergeht (scheinbar). Allerdings bleibe ich bei meinem „realistischen Pessimismus“ ?

Damit muss ich als Erwachsener eben doch das letzte Wort haben, denn nur ich kann einschätzen, was nun wirklich (gesellschaftlich – nicht aus Sicht des Kindes) relevant ist und was nicht, selbst, wenn ich die Bedürfnisse und Wünsche durchaus nachvollziehen kann… Ich würde oft auch lieber in der Sonne liegen, statt zu arbeiten ? Aber ich muss eben Geld nach Hause schaffen. Daher kann ich Ansätze wie diese nicht verstehen.

Womöglich klappt es, wenn man eher puritanisch veranlagt ist? Also wenig materiellen Besitz haben möchte? Kein eigenes Haus möchte, kein Auto. Wenn Urlaub nicht notwendig ist? Das ist all der Luxus, den ich mir einfach gern leisten möchte (irgendwann). Zu viel selbst auferlegter Druck? Darf man nicht (zu) materiell sein, wenn man bedürfnisorientiert erzieht? So empfand ich es zumindest, da ich bedürfnisorientiert und Vollzeitarbeit überhaupt nicht als kompatibel empfand… Immerhin ist es mir ein großes Bedürfnis gewisse Dinge einfach zu besitzen, und dafür muss ich mich vielen gesellschaftlichen Regeln beugen (auch, wenn ich manche als nicht sinnvoll erachte^^). Denke ich zu weit/zu viel/falsch?

Weichspülpädagogik? Na gut.

Wenn nur ich involviert bin, empfinde ich es als viel leichter die Vorschläge umzusetzen, als wenn ich auf Bedürfnisse weiterer Menschen (zum Beispiel auch meinem Mann) eingehen muss. Ich sehe mich einfach gezwungen im System zu funktionieren und mitzuspielen. Wenn ich es nicht tue, gibt es Konsequenzen (ggf. Stress mit der Kita). Und die möchte ich so gut es geht umgehen. Damit stehen die Bedürfnisse von Fremden manchmal an erster Stelle. Mache ich das vielleicht falsch?

Diese Lösungsansätze empfand ich daher oft als nicht soooo alltagstauglich. Andere Vorschläge wiederrum klangen gar nicht so weltfremd, das wollte ich unbedingt umsetzen. Also habe ich meinen Ehemann geschnappt, die Basics erklärt und ihm gesagt, ich würde gern versuchen „bedürfnisorientierter“ zu erziehen. Ich konnte ihn sogar überzeugen selbst ein paar Passagen zu lesen, um Claire zu verstehen. Ich bin ehrlich: Er hält absolut nix von der (Zitat) „Weichspülpädagogik“, aber hat eingelenkt und sich einverstanden erklärt, da „mitzumachen“ (vorerst). Gut, dann hätten wir das geklärt und ziehen am gleichen Strang (für mich sehr sinnvoll beim Thema Erziehung). Zumindest in der Theorie…

Was wir durch das Buch gelernt haben

Das Spiegeln der Gefühle des Kindes ist beispielsweise sehr wichtig für das Buch. Bei unserem Kind kommt das leider gar nicht gut an. Anfangs schrie sie nur noch heftiger, wenn wir es versucht haben. Dabei war ich sehr sicher zu wissen, was diesen verursacht hat. Mit der Zeit schien sie zu begreifen, dass wir nicht kapieren, was wir falsch machen. Also fing sie jedes Mal an die Ohren zuzuhalten und „Ruhe“ zu rufen, wenn wir versucht haben zu spiegeln. Ok. Sie will nicht zugelabert werden. Auch nicht mit „nur wenigen Worten“. Sie will ihre Ruhe, wenn sie in Flammen aufgeht. Spiegeln klappt – wenn überhaupt, erst dann, wenn sie sich vollständig beruhigt hat, um darüber dann auch zu sprechen. Das ist glaub ich nicht Sinn der Sache, denn eigentlich suche ich eine Möglichkeit die Wutanfälle zu stoppen, indem ich sie spiegele. Die Kommunikation aufzunehmen. Das „drüber reden“ im Anschluss hatte ich ja vorher schon praktiziert.

Auf Kompromisse reagiert sie auch nur selten. Kinder sollen in der Regel ja kooperieren wollen. Bei Claire hab ich das Gefühl nicht so sehr… Wenn sie etwas möchte, dann sofort und genau SO! Nicht, später, oder morgen, sondern JETZT. Nicht abgekürzt, nicht in einer anderen Farbe sondern SO! Uff… Sie will einerseits ihre Ruhe, andererseits aber auch, dass wir in der Nähe bleiben. Wenn ich mich wegsetze (um nicht getreten/geschlagen zu werden), kommt sie hinter her (und macht weiter). Wenn ich sage, dass ich nun wütend bin und den Raum verlassen muss, rennt sie hinter her, stellt sich abwehrend vor die Türe. Lässt mich nicht gehen. Das hilft mir nicht wirklich meine eigene Wut in den Griff zu bekommen, denn ihre Schlagpuppe sein, will ich auch nicht. Was ich da tun kann, da hat das Buch aber auch keine konkrete Antwort drauf. Die vorgeschlagenen Ansätze halfen leider nicht…

Trotzphasen im Urlaub

Neuer Testlauf im Urlaub

Ich dachte, dass vielleicht der Alltagsstress das Problem ist. Dass ich zu angespannt sei (oder zu doof, um das Buch zu kapieren). Also nahm ich das Buch in den Urlaub mit und habe mir vorgenommen, die Ansätze dort ohne Druck und Stress umzusetzen. Ohne den Alltagsstress und den durchgetakteten Tag sollte es doch möglich sein, die Ansätze anzuwenden – dachte ich. Leider kam es ganz anders… Wir haben versucht uns nach ihren Bedürfnissen zu richten. Verzichteten auf das Nein aus Faulheit. Leider schien sie zu merken, dass wir mehr auf sie eingingen, denn nun forderte sie immer mehr. Plötzlich hatte ich das Gefühl, sie diktiert nun unser Leben! Ihr fielen ständig neue Sachen ein, um ihren Willen einzufordern. Und es fiel mir wahnsinnig schwer zwischen einem Bedürfnis und einfach dem schlichten Willen zu unterscheiden. Das wurde zum Problem, denn nun war ich davon gestresst, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Dann passierte es:

Ich habe meine eigenen Bedürfnisse komplett vernachlässigt. Meine persönlichen Grenzen nicht gewahrt. Denn was anfangs vielleicht noch eine „unnatürliche“ bzw. künstliche Grenze aus Faulheit war, wurde mehr und mehr zur natürlichen Grenze. Oder anders: Durch die vielen künstlichen Grenzen, die ich immer wieder zugunsten Claire erweitert habe, habe ich eine natürliche Grenze – ich war einfach K.O. – geschaffen. Das habe ich aber nicht gemerkt und bin dann geplatzt. Durch das Erfüllen der Bedürfnisse der Maus wurde ich einfach müde und genervt. Ich wollte auch gern mal eine Pause haben, selber was machen. Meinen Rhythmus einhalten. Aber das ging nicht, denn ich musste mich komplett an sie halten, sie war absolut nicht bereit für Kompromisse, hat diese Grenzerweiterung komplett ausgenutzt.

Und das machte mich sauer. Sauer, weil ich das Gefühl hatte, dass sie „meinen guten Willen nun für den ihren ausnutzt“.

Ich hab versucht die Ansätze im Buch zu verstehen, sie zu verstehen und habe geschluckt. Alles heruntergeschluckt – auch den Zorn meines Mannes, der auch überfordert war. Und dann: Ich wurde so aggressiv, dass ich ihr gegenüber gewaltbereiter war. Ich schimpfte, zickte und fasste sie auch mal hart an. Und erschrak vor mir selbst. Schlagen oder auch nur Abwandlungen davon, wollte ich nicht in der Erziehung haben. Aber je mehr ich versuchte mich nach dem Buch zu richten, desto schlimmer wurde es!

Ich machte mir Gedanken, versuchte gegen meine Intuition zu handeln, verbog mich total.

In Gedanken gab ich ihr oft eine Ohrfeige, einfach, weil ich nicht wusste, wie ich ihren Starrsinn durchbrechen sollte. Ich habe dringend ein Ventil gebraucht, um meine Wut loszuwerden. Das habe ich dann bei meinem Mann gefunden – und er bei mir. Das war nicht unbedingt produktiv und gut für unsere Ehe… Ich hatte das Gefühl, sie triezt mich absichtlich. Fühlte mich hilflos und überfordert. Denn kaum bekam sie nicht, was sie will, explodierte sie. Und ich mit. Das schnitt mir die Luft ab. Im Urlaub wurde mir klar: Nein. So geht es nicht. Das läuft total falsch.

Was bedeutet das Buch nun für mich?

Ich habe noch keine Lösung im Buch entdeckt, dafür aber viele Selbstzweifel. Im Gespräch mit der lieben Nicole (LiniChri) habe ich erstmals wieder angefangen selbstständig zu atmen und zu verstehen, dass dieses Buch keine Bibel ist und ich mich selbst als Mensch nicht vergessen darf. Und auch meinen Mann nicht. Wir sind drei verschiedene Menschen mit drei verschiedenen Bedürfnissen. Die sind alle wichtig. Mittlerweile fällt nun wieder öfter ein klares Nein. Und ich habe die „Wenn, … dann…“-Konsequenzen wieder eingeführt: „Wenn du noch länger auf dem Spielplatz bleiben möchtest, haben wir nachher keine Zeit mehr vorzulesen“ oder „Wenn du noch ein Buch lesen magst, fällt leider unsere Kuschelzeit weg, weil ich noch einen Termin habe“.

Ok, sie sagt zwar oft zu und ist am Ende doch wütend, weil die Konsequenz auch wirklich eingetreten ist, insgesamt aber klappt es so ganz gut. Seither läuft es wieder leichter. Es läuft besser. Für uns als Familie. Unter Berücksichtigung der Grenzen aller. Mit Konsequenzen. Wobei ich versuche „harte“ Konsequenzen zu vermeiden. Es gibt kein: „Wenn du jetzt nicht still sitzen bleibst, nehme ich das Essen weg“.

Wir versuchen das „Nein“ aus Faulheit ebenfalls zu vermeiden. Oft. Aber nicht immer. Unser eng getakteter Tag lässt leider keine mehrmaligen Wutattacken zu. Eine kann ich puffern. Aber danach wird es knapp. Auch bei meinem Mann ist das nicht möglich. Claire kann ihren Gefühlen freien Lauf lassen, aber nicht allen Gefühlen und nicht immer.

Vielleicht setzen wir ein paar mehr „unnatürliche/künstliche Grenzen“, als das Buch erlauben/vorgeben/vorschlagen würde, ja. Aber im Moment ist es für alle Beteiligten die bessere Lösung. Vielleicht wird es ja ein Stück weit besser.

Womöglich können wir das Nein in Zukunft wegsperren. Vielleicht werden wir eines Tages ohne „Wenn, dann“-Konsequenzen klarkommen. Nur klappt es nicht auf Biegen und Brechen. Nicht, wenn ich damit mich selber brechen muss – dazu habe ich gerade keine Kraft. Vielleicht können wir die Theorien als schleichenden Prozess besser umsetzen. Das wird die Zeit zeigen. Wir nehmen die Erklärungen und Theorien nun als Basic-Wissen an, versuchen umzusetzen, was geht, setzen aber klare Grenzen oder kürzen Wutanfälle mit Konsequenzen ab, wenn es nicht mehr geht. Zum Schutz des Kindes und unserer Ehe. Hier hat es nämlich ein paar Mal heftig gekracht. Mein Mann gibt sich Mühe, ihm fehlt aber oft das Verständnis. Manchmal kommt es ihm vor, als grätsche ich ihm herein. Das darf nicht sein! Aber es darf auch nicht sein, dass wir beide verschieden erziehen. Ich glaube, dass das dem Kind schaden könnte.

Ist das Buch eine Hilfe?

Wutanfälle haben wir nach wie vor. Manchmal gelingt es mir, diese abzufedern, manchmal vergesse ich mich und muss meine Wut im Bad herausbrüllen (keine gute Idee übrigens – das hallt^^). Hat das Buch also geholfen? Nicht direkt. Ja, nein… Vielleicht. Es hat mir keinen konkreten Lösungsweg aufgezeigt, wie ich die Situationen besser meistern kann. Es hat ein wenig geholfen Verständnis aufzubringen – ja. Ich verstehe, was die Autorin meint und sagen will. Aber ich verstehe auch, dass die meisten Ansichten nicht in unsere Lebenssituation passen.

Womöglich hat die bedürfnisorientierte Erziehung eher Platz bei einer Vollzeitmutter?– versteht mich nicht falsch, das ist kein abwertender Vorwurf!

Das Problem ist nur, dass ich allein merke, welche Last von mir abfällt, wenn ich mal Urlaub habe und die Arbeit aus meinem Kopf streichen kann. Plötzlich wird es leichter für mich Termine zu managen, plötzlich ist da Druck weg. Ich denke als Vollzeitmutter ist vieles leichter umzusetzen, weil man einfach weniger Druck hat. Es gibt keinen Arbeitgeber im Rücken, keine Kollegen. Es gibt „nur“ das Kind und Haushalt. Sicherlich auch keine einfache Aufgabe! Ein Tag mit Kind macht mich mehr KO, als ein Arbeitstag ? Aber man umgeht den Spagat zwischen Karriere, Mann und Kind. Das innerliche Zerreißen sehe ich hier einfach nicht so stark gegeben.

Natürlich liegt der Kraftakt dann eher in der Erziehung des Kinds, aber: der liegt fokussiert auf dem Kind. Man kann viel besser darauf eingehen. Auch mal Wutanfall Nummero 3 aushalten. Zeitlicher Druck, weil es zur Kita und ich zur Arbeit muss? Gibt es eher nicht. Kollegen, die warten und sich auf mich verlassen? Auch nicht. Ich glaube, dass Vollzeitmütter hier klare Vorteile haben, weil sie nur auf die Bedürfnisse ihrer Kinder und ihre Eigenen beachten müssen. Nicht die der Arbeitgeber, der Erzieher in der Kita (pünktlich abholen bitte!) und und und. Vor allem aber glaube ich, dass das besser klappen kann, wenn man nur ein Kind hat. Mit zwei Kindern stelle ich es mir wieder unglaublich mühselig vor, da man anfangen muss Bedürfnisse abzuwägen, zu priorisieren. Und woher nehme ich die Erkenntnis welches Bedürfnis nun wirklich wichtiger ist, als das andere? Das ist ein täglicher Kampf.

Das Fazit

Insgesamt hilft das Buch die Emotionen und Reaktionen des Kindes (meistens) besser zu verstehen und einzuordnen. Das kann dazu beitragen den Frustlevel zu senken. Kann. Manchmal überwiegt der Frust aber dennoch und man ist einfach nur genervt – bei allem Verständnis, jeder hat seine Grenze. Wer das Buch liest und umsetzen will, dem muss vor allem klar sein, dass es nicht leicht wird. Die Ansätze fruchten nicht sofort, vielleicht auch gar nicht. Das Zusammenleben wird nicht sofort leichter. Vielleicht auch schwieriger. Das Buch bedeutet aber vor allem eines: Harte Arbeit! Nicht am Kind, sondern an sich selber.

Man muss bereit sein, eigene Grenzen zu erweitern. Man muss seine Einstellung zu manchen Situationen von Grund auf ändern. Man muss sich verändern. Jetzt stellt sich mir die Frage, in wie weit ich das eigentlich will, beziehungsweise, warum ich als Mutter nicht reiche, wie ich bin? Wäre ich besser keine Mutter geworden, weil ich bin, wie ich bin? Weil ich – im Buch nennen sie es „schwarze Pädagogik“ in manchen Teilen für sinnvoll halte (Wenn, dann-Szenarien zum Beispiel)? Weil meine Grenzen scheinbar viel zu tief liegen?

Bin ich zu unfähig, die Balance zu finden? Zu egoistisch für bedürfnisorientiert? Oder habe ich das Buch schlicht nicht kapiert?

Ihr seht, wir haben einen langen Weg vor uns. Ob meine Theorie, Vollzeitmütter haben es leichter, zutrifft, wird sich demnächst zeigen. Ab Juni werde ich nicht mehr arbeiten müssen und umgehe somit viel terminlichen Druck. Ich hoffe sehr, dass ich dann gelassener reagieren kann, weil keine 100 Aufgaben im Hinterkopf auf mich warten. Allerdings gibt es ja dann bald ein Baby… Aktuell fühle ich mich wie ein Versager, weil ich bisher eher gescheitert bin. An mir, an dem Kind, am Buch. Das muss erstmal verdaut werden…

Lieben Dank dennoch an die liebe Claudi, die mir das Buch vermacht hat ? Wer bist du denn? Schreib mir^^