Heute möchte ich euch ein paar Geschichten aus meiner Vergangenheit erzählen. Geschichten, die kaum jemand kennt. Eigentlich niemand. Es geht um Mobbing, Ausgrenzung, allein sein. Es geht um mich, als Schulkind. Ein jahrelanges Märtyrum. Hoffnungslosigkeit, Selbstzweifel, Selbsthass…
Wieso jetzt? Warum erzähle ich euch gerade jetzt, kurz vor Weihnachten, der besinnlichen Zeit davon? Nunja, in erster Linie kennt Gewalt keine Grenzen – oder friedlichen Zeiten. Sie ist immer da. Warum also nicht jetzt darüber berichten? Zum anderen hat die liebe Glucke zusammen mit Saskia eine Blogparade zum Thema (Cyber-)Mobbing gestartet. Beide haben von ihren Schrecklichen Erlebnissen erzählt. Mehr Blogger schlossen sich an. An der Parade, oder den sozialen Kanälen. Es ist furchtbar und gleichzeitig tröstend zu sehen: Du bist nicht allein. Du bist nicht das einzige Opfer. Es hilft zu verstehen: Du bist nicht schuld. Die Gesellschaft ist schuld. Vielleicht….
Im Grundschulalter vom Hof gejagt
Bei mir fing alles schon sehr früh an. In der Grundschule. Vielleicht schon im Kindergarten. Ich war glaube ich immer Einzelgänger… Ich bekam damals einen alten Lederranzen meiner Mutter. Die anderen Kinder hatten alle tolle bunte Schulränzen von Scout und Co. und ich kam mit so einem alten „Ding“ an. Wir hatten nicht viel Geld, daher mache ich meine Mutter keinen Vorwurf. Jeder hatte Ponys, Hunde, Vögel, Piraten und allerlei andere Gestalten auf dem Rucksack. Nur meiner war braun. Kackbraun. Ein toller Anknüpfungspunkt, um mich auszulachen. Schon in der Grundschule wurde ich damit über den Hof gejagt. Einmal floh ich sogar durch stacheliges Gebüsch und hab mir ganz schön wehgetan…. Was läuft nur schief mit Kindern, die zu so viel Grausamkeit fähig sind? So oberflächlich sind? Haben die echt alle die falsche Erziehung genossen? Oder sind Menschen eben doch von Grund auf erstmal böse? Oder stimmt was nicht mit mir? Bin ich vielleicht einfach zu dumm, zu hässlich, zu untalentiert, nicht liebenswert? Gehöre ich nicht in diese Welt? Passe ich einfach nicht dazu? Fragen, die ich mir schon früh gestellt habe.
Kein Anschluss an die Gemeinschaft
Gesagt habe ich nichts. Das Vertrauensverhältnis zu meiner Mutter war nicht groß genug… Was sicherlich an mangelnden Emotionen lag. An der Schule war ich immer ein Außenseiter: In der Grundschulzeit sind wir (berufsbedingt durch meine Mum) viel umgezogen. Ich hatte kaum Chancen an die bestehende Gemeinschaft anzuknüpfen, da waren wir auch schon wieder weg. Cliquen bilden sich ja leider schon früh. Auf dem Schulhof war ich meistens allein. Ich war die, die nicht genug Geld für ein Stickeralbum hatte und keine Glitzersticker tauschen konnte. Die, die nicht fähig war Seil zu hüpfen. Die, die irgendwie komisch ist (zurückgezogen und still). Schon als Kind hatte ich einen Wutteufel in mir, der hin und wieder herausbrach. Dann habe ich getobt, getrotzt und geweint. Das fanden meine Mitschüler wohl auch nicht knorke. Die Abgrenzung wurde größer, meine Verzweiflung auch. Damit wiederum mein Jähzorn. Eine Teufelsspirale, die sich immer tiefer grub. Schon nach der Grundschule hatte ich wenig Lust auf andere Menschen. Für mich waren sie in erster Linie erstmal feindlich gesinnt. Hochgehalten hat mich in dieser Zeit nur mein Bruder. Seitens der Familie kam auch kein Halt. ich hatte früh mit Gewalt (körperlich und seelisch) und auch Missbrauch zu kämpfen. Auch nicht gerade gut für mein Ego…
Im Gymnasium ging es weiter. Das Mädchen mit dem ständig-fettigem Haar – wenn ich alte Bilder sehe, frage ich mich, wieso meine Mutter mich nicht darauf hingewiesen hat, dass ich öfter duschen sollte. Das Mädchen mit der hässlichen Brille im Oma-Style. Warum musste es dieses Modell sein? Das Mädchen mit den Klamotten der toten Oma. Viel Geld hatten wir halt nie…. Da gab´s selten mal schicke Kleidung. Mag oberflächlich klingen, aber: Kinder SIND oberflächlich. Das waren alles wundervolle Angriffspunkte, an denen man mich heruntermachen konnte. Klasse Pia (mein Zweitname und damaliger Rufname) du hast es denen aber auch einfach gemacht! Die Pausen habe ich meist auf dem Klo verbracht – um mich zu verstecken.
Fett und doof: Ein ideales Mobbingopfer
Zu allem Überfluss bin ich ja auch noch pummelig und unsportlich. Meine Leistungen waren eher durchschnittlich bis schlecht. Nicht gerade der Typ, mit dem man sich anfreunden mag. Meine Stimmung meistens muffig. Ich hatte Selbstzweifel: Bin ich echt so abnormal und abstoßend? ich habe einen regelrechten Selbsthass entwickelt, weil ich einfach nicht so sein konnte wie der Rest. In dieser Zeit kamen echt düsteren Gedanken auf: Braucht die Welt mich eigentlich? Was wäre, wenn ich gar nicht mehr da wäre? Diese habe ich in einem Tagebuch festgehalten. Wenn ich sie heute lese, muss ich erschaudern. Wie krass, dass ein 13-Jähriges Mädchen über Suizid wegen Mitschülern nachdenkt. Aber so krass ist es ja gar nicht. Es passiert immer wieder! Was läuft nur falsch?
Ich erinnere mich nicht, dass ich je zu einem „Spieledate“ gegangen wäre. Oder einer Geburtstagsparty eingeladen wurde. Für mich gab es keine Gemeinschaft. Ich habe es nicht geschafft hineinzukommen. Noch fieser: Am Gymi haben sie so getan, als würden sie mich aufnehmen. Beispielsweise mit kleinen „Liebesbriefen“ von Mitschülern. War natürlich nur Fake. Wie vieles. Auf meinem Stuhl wurden Reißzwecken gelegt, ich wurde aufgrund meines Gewichts immer wieder ausgelacht und doof angemacht. Es war die Hölle. Und ein ständiger Kampf. Das schlug sich auch in meinen Noten nieder. In der 8. Klasse blieb ich dann wegen einer 5 in Mathe und Erdkunde sitzen. Prima, Versagerin!
Ein Lichtblick: Der Schulwechsel
Und: Gott sei Dank! Meine Mutter entschied, dass ich die Schule wechseln sollte. Sie hatte nun doch Wind vom Mobbing mitbekommen. Die beste Entscheidung ever. Ich kam auf eine Privatschule. Und ich fand Freunde. Ich fand Anschluss. Nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte, aber endlich sprach jemand mit mir, lud mich ein. Die Zweifel wurden kleiner und ich entwickelte mich zum Streber. Tatsächlich sprang ich von Mathe 5 auf 1 – bis heute liebe ich Mathe. Auch auf dem zweiten Gymnasium wurde ich hin und wieder blöde angemacht– aber ich habe es mehr oder weniger besser weggesteckt (ok, manchmal habe ich mich mit der Zirkelspitze geritzt, aber das war vergleichsweise harmlos).
Noch immer bin ich recht verschlossen anderen Menschen gegenüber. Habe große Probleme Freundschaften zu erhalten. Weiß nicht, wie man sich in der Gemeinschaft verhalten soll, um bestehen zu können, sich aber nicht selbst zu betrügen. Noch immer suche ich meinen Weg. Was mir aus der Zeit geblieben ist: Angst. Und eine negative Grundeinstellung. Für mich sind alle Menschen per se „böse“. Sie möchten mir etwas Böses, hinter allen netten Worten steckt etwas Böses. Es ist schwierig für mich eine gute Geste als solche wahrzunehmen. Immer frage ich mich: Welcher Hintergedanke mag sich verstecken? Es ist unglaublich schwierig so in der Welt zu wandeln.
Ein Leben lang Zweifel…
Sicherlich habe ich schon viele Menschen zu Unrecht verurteilt. Mittlerweile versuche ich etwas Gutes zu sehen, zu vertrauen. Was besonders schwer fällt, da der Menschen dem ich am meisten vertraut habe, dieses komplett ausgenutzt und mich hintergangen hat. Sowas hinterlässt tiefe Wunden. Das warf mich um Meilen zurück. Ich hoffe, dass ich eines Tages den Menschen begegnen kann, ohne Kritik in der Stimme zu hören. Ohne böse Absichten zwischen den Zeilen zu lesen. Anteilnahme zu verstehen und zu akzeptieren. Bis dahin wird es aber noch ein langer Weg. Es hilft auch sicherlich nicht, dass ich meist gegen den Strom schwimme. Mich selten mitreißen lasse und oft Contra biete. Tatsächlich habe ich eine Zeit lang versucht „Ja-Sager“ zu sein. Eine Maske aufzusetzen und so zu tun, als fände ich alles prima. Das hat mich fast kaputt gemacht. Ich habe mich selbst aufgegeben, wollte mich in eine andere Rolle zwängen und bin dabei fast zerborsten. Innerlich. Alles nur, um dazuzugehören, nicht mehr gemobbt zu werden.
Liebe Mitmenschen, bitte mobbt niemanden. Nicht als Kind, nicht als Erwachsener. Dieses Päckchen hat man oft ewig zu tragen. Auch, wenn man sie nicht sieht: Die Verletzungen sind tief.
Habt ihr eine eigene Geschichte? Die Blogparade läuft noch bis zum 25. November. Gern könnt ihr sie auch anonym veröffentlichen. Unter #NoMobbing findet ihr alle relevanten Beiträge. Gebt Mobbing keine Chance!
Liebe Yasmin, ich finde es toll dass du den Mut hast darüber zu berichten 🙂 ich finde mich in vielem wieder. Ich habe auch lange Zeit meine Pausen auf der Mädchen-Toilette verbracht, obwohl ich schon wohl auch Freunde hatte, ob das wahre Freunde waren weiß ich nicht. Ich kenne Mobbing aber auch von Lehrern. Vielleicht werde ich auch noch an der Blog-Parade teilnehmen. Liebe Grüße, Ella
Hallo Ella, danke für deinen Kommi 🙂 Voll schade, dass es scheinbar viele gibt, denen es so ergangen ist…. Ich freue mich schon auf deinen Beitrag dazu! Vlt. merken die Mobber ja ein bisschen, dass sie über das Ziel hinausgeschossen sind… Hattest du Strategien, um damit besser klarzukommen?
LG
Erstaunlich, ich dachte immer ich wäre die einzige die ihre Pausen auf dem Klo verbringen musste…und jetzt finde ich hier gleich zwei ??? schade dass wir nicht auf der gleichen Schule waren. Liebe Grüße Claudia
Dann hätten wir KLo-Talk halten können 🙂 🙂
Liebe Yasmin,
in deinem Bericht habe ich mich so oft wieder gefunden. Auch ich wurde während meiner gesamten Schulzeit (und ich tippe auch mal in meiner Kindergartenzeit) gemobbt. Anschluss habe ich nie gefunden, von den „Freunden“ wurde ich regelrecht verarscht, gemobbt, beleidgt und sogar geschlagen.
Ich denke ich werde auch an der Parade teilnehmen und meinen Beitrag dazu schreiben.
Ich hoffe dir geht es nach dieser schwierigen Zeit gut und konntest die Zeit auch weg stecken. Auch heute knabber ich an der alten Zeit, sie lässt nicht locker… 🙁
Liebe Grüße, Elli
Liebe Elli,
es wäre wunderbar, wenn du deinem Frust auch Ausdruck verleihen würdest 🙂 Auch mir hängt die Zeit noch immer in meinem Tun und Denken hinterher. Das wird sich wohl auch nie mehr ändern. Es hat mich von Grund auf geprägt. Menschen ändern sich nicht um 180 Grad – zumindest nicht wirklich… SO bin ich nun und damit lebe ich… Hast du dich damals an jemanden gewandt oder alles geschluckt?
Liebe Grüße
Yasmin
Ich glaube ich habe damals alles verdrängt. Zuhause ziehte ich mich in meine kleine Welt zurück, in der alles gut war.
Meine Eltern wussten dass ich gemobbt und geschlagen wurde. Man wandte sich auch oft an die Lehrer, an den Direktor. Aber niemand half oder konnte wirklich was bewegen… 🙁
Hallo! Es tut mir leid was du durch gemacht hast! Bei mir war es nicht ganz so schlimm, aber schlimm genug, das ich vom Gymnasium abgegangen bin! Leider musste auch mein Sohn bereits Mobbingerfahrung sammeln! Er hatte einen Pullover an, auf dem der kleine Maulwurf drauf war, daraufhin wurde er als Baby und Mädchen bezeichnet! Wir haben dann das Gespräch in der Kita gesucht, und es gab mit den Kindern einen Mobbingtag, an dem Ihnen erklärt und in Rollenspielen gezeigt wird, was Mobbing anrichtet, und wie es sich anfühlt!
Liebe Fanny,
habe vielen Dank für deinen Kommentar. Es kann nicht sein, dass das schon in der KITA passiert. Unvorstellbar!!! Was ist nur los mit den Menschen…. Das ist einfach ein miese Zeugnis für unsere Gesellschaft… Allein die Vorstellung, Claire könnte sowas passieren…. Himmel.. Ich wüsste gar nicht, ohb ich an mich halten könnte oder diese Kinder zusammenschreien würde… Hat das Rollenspiel Wirkung gezeigt, oder haben die Kids nur Gute Miene zu bösem Spiel gemacht und waren anschließend wieder Arschlochkinder?
Liebe Grüße
Yasmin
Zusammenschreiben? Kleid Kinder? Weißt du was? Du bist so authentisch in dem was du hier schreibst. Danke! Ich dachte immer, ich wäre alleine mit sowas. Danke.
Zusammenschreien natürlich. Kleine Kinder, natürlich.
[…] Rabenmutti Yasmin schreibt hier über ihr Martyrium. Genau so muss man es nennen, was ihr während ihrer Kindheit und Jugend […]
Hallo Yasmin,
erstmal ein Lob für Deinen tollen, spannenden und interessanten Blog! Weiter so! Hier mein Beitrag zur Blogparade „Mobbing – Leider kein Einzelfall, auch bei mir {Blogparade}“:
http://www.wunschschmiede.com/2016/11/20/mobbing-blogparade/
Gib Mobbing keine Chance!!!
Viele Grüße
Andreas
Lieber Andreas, hab vielen Dank. Allerdings veranstalte ich die Blogparade nicht 🙂
Hier findest du den Urpsrung: https://essentialunfairness.wordpress.com/2016/10/26/aufruf-blogparade-nomobbing/
LG
Yasmin
[…] leider auch keine Einzelfall Fehlgriffe. So sah ich schon immer aus. Ein bisschen verstehe ich die Mobber von damals ja schon… Mit Claire ist das anders. Ich versuche wirklich abzuschätzen, was wohl […]
[…] Rabenmutti Yasmin schreibt hier über ihr Martyrium. Genau so muss man es nennen, was ihr während ihrer Kindheit und Jugend […]
[…] Mobbing! Zufällig bin ich auf die Blogparade von Yasmin „Die Rabenmutti“ zum Thema „Mobbing – Leider kein Einzelfall, auch bei mir“ gestoßen! Sofort war für mich klar, daran nehme ich Teil. Mobbing ist mittlerweile soweit […]
Ich hatte ja meine Geschichte aufgeschrieben, aber dann säße ich morgen noch hier… Ich hab mich damals schon anders gefühlt. Andere Menschen machen mir Angst. Bis heute. In der Kinderkrippe (!) ging das Mobbing schon los und es endete erst, als ich arbeitsunfähig wurde. Seitdem mobbt mich nur noch meine Schwester… Früher waren da die Kinder, die Erzieherinnen und die Lehrer, alle machten mich fertig… Kam ich mit blutiger Kleidung (Nase gebrochen) nach Hause, bekam ich richtig Ärger, weil ich die Kleidung beschmutzt hatte. Ich wurde vernachlässigt und misshandelt. Überall wo ich jemals hin kam, war ich Opfer.sogar in meinen… Read more »